Eine junge Frau zieht von Paris nach Tunis. Mit 10 Jahren ist sie mit ihren Eltern in die umgekehrte Richtung gezogen. Ihr Vater ist in Frankreich geblieben, aber Selma (Golshifteh Farahani) will zurück zu ihren Wurzeln: Ihre wenigen Habseligkeiten werden in eine kleine Wohnung auf einer riesigen Dachterrasse getragen und ihre Nichten schauen neugierig zu. Die burschikose junge Frau raucht viel, ihr Haar ist lockig und wild, meistens trägt sie weite und funktionale Arbeitskleidung. Das große Schwarz-weiß-Foto erregt die Aufmerksamkeit eines Nachbarn: Ein älterer Herr mit einem weißen Bart und ernstem, aber freundlichen Blick hält eine Zigarre in der Hand. Gleichsam als Farbklecks trägt er einen roten Fez auf dem Kopf. Es ist nicht ihr Vater und auch nicht ihr Großvater, wie ein Nachbar vermutet, sondern Selmas „Chef“, Sigmund Freud.
Selma arbeitet in einer Männerdomäne und will auf dem Dach ihres alten Familiendomizils eine psychoanalytische Praxis einrichten. Aber das ist nicht so einfach, und die Schwierigkeiten kommen in „Auf der Couch in Tunis“ nicht nur von den Nachbarn, die sich vom „Gespräch über ihre Probleme“ etwas anderes vorstellen als die junge Frau aus Paris, sondern besonders von der tunesischen Bürokratie. Denn so einfach gibt das Gesundheitsministerium keine Betriebserlaubnis für eine psychotherapeutische Praxis. Und dann ist da noch ein junger Polizist, ein Don Quijote der Gerechtigkeit, der Selma einerseits das Leben schwermacht, ihr aber andererseits auch gut gefällt. Trotzdem werden er und seine Kollegen zu einer ständigen Herausforderung.
In Tunesien nach der Revolte
Die Gruppe der drei Polizisten repräsentiert im kleinen die Situation des arabischen Landes nach der Revolte, zwei suchen ständig nach Regelverstößen, die sie nach dem streng islamischen Moralkodex oder alter Polizeiwillkür ahnden können, während ihr Kollege sich streng an die Gesetze hält: „Ohne Regeln geht dieses Land kaputt!“, sagt er zu Selma, als er ihre Praxis schließen lässt. Auch ihre Familie lehnt ihre psychoanalytische Praxis ab: „Wir haben Gott, wir brauchen so etwas nicht!“, sagt ihre Tante und Olfa, ihre lesbische Cousine, ist böse über ihre Rückkehr, hat sie doch gehofft über Selma nach Frankreich ausreisen zu können. Dann entschließt sie sich zu einer Scheinheirat: Gemeinsam mit einem jungen schwulen Mann möchte sie nach London gehen, damit endlich jeder von ihnen nach seinen Vorstellungen leben kann.
In ihrer alten Heimat ist Selma von Doppelmoral und Heuchelei umgeben: Der bartlose Imam wird von Salafisten gemobbt, bis er einen Selbstmordversuch unternimmt, was er nachher heftig abstreitet. Die Coca-Cola-Dose ihre Onkels Mourad ist immer zur Hälfte mit Whiskey gefüllt, schon seit Jahren versteckt der sittenstrenge Mann einen Alkoholismus vor der Familie. Aber auch der Bäcker hat sein ganz eigenes Geheimnis: Er will eigentlich eine Frau sein und als er nach dem Besuch der psychoanalytischen Praxis sein Leben radikal ändern will, führt sein Besuch im Hammam zu unvorhergesehenen Verwicklungen.
Selma versucht mit allen Mitteln eine Genehmigung für ihre Praxis zu bekommen, aber die zuständige Beamtin im Ministerium bietet ihr stattdessen Seidentücher und Reizwäsche aus Schwarzmarktbeständen an. Als Selma nach einer Autopanne völlig verzweifelt ein Auto anhält, nimmt sie ein Mann mit, der Sigmund Freud sehr ähnelt, sich ihre ganze Leidensgeschichte stoisch anhört und ihr im Angesicht ihrer Tränen nur wortlos ein Taschentuch reicht. Aber die nächtliche Autofahrt gibt ihr die Energie für eine letzte symbolische Protestaktion vor dem Gesundheitsministerium.
Bestandsaufnahme einer Gesellschaft
„Auf der Couch in Tunis“ ist kein Film über Psychoanalyse, sondern eine ebenso humorvolle wie tiefsinnige Reflexion über das alte Thema des ost-westlichen Diwans und eine Bestandsaufnahme einer Gesellschaft nach der Revolte. In ihrem Debüt erzählt die französisch-tunesische Regisseurin Manele Labidi von einer Rückkehr zu den eigenen Wurzeln und von einem Zusammenstoß der Kulturen. Dabei wird die Hauptfigur Selma ebenso vehement wie zurückhaltend durch die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani verkörpert. Besonders unterhaltsam ist der Film durch viele ebenso skurrile wie sympathische Nebenfiguren. Manele Labidi arbeitet mit Elementen der volkstümlichen Komödie, bleibt aber in der Schilderung ihrer Protagonistin subtil und wenig vorhersehbar. Das Ergebnis ist ein ebenso unterhaltsamer wie tiefsinniger Film.
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