Der Horror beginnt schon vor der ersten gemeinsamen Nacht von Abby und Hank. Um Geld zu sparen, ist Abby wieder in ihren Heimatort zurückgekehrt und hat dort Hank getroffen. Zwischen den beiden funkt es, und nun führt Hank sie zu seinem Elternhaus, einem abgelegenen, ziemlich heruntergekommenen Gebäude mit „southern gothic“-Flair. Keck fragt Abby, ob er ihr im Wald aufgelauert habe, um sie jetzt in dieses „Texas Chainsaw Massacre“-Anwesen zu locken. Und ob er alle seine Freundinnen hierhergebracht habe? Hank lässt sich auf dieses Spiel ein: Alle seine Freundinnen seien immer noch hier, sagt er. Er habe ihnen jetzt mit Abby etwas zum Spielen mitgebracht. Ein Spaß, oder? Im Kassettenradio steckt noch ein Band mit der Aufschrift „For Julie“. Doch kein Spaß?
Die Haustür ist komplett zerkratzt
Zehn Jahre später sind dies schöne Erinnerungen, denn Abby und Hank sind ein Paar geblieben. Allerdings ohne zu heiraten. Wenn die Erzählgegenwart beginnt, sitzt Hank mit dem Gewehr in der Hand auf einer Couch, die die geschlossene Eingangstür sichert. Um ihn herum: viele leere Bierflaschen. Abby ist fort. Sie hat nur eine Notiz hinterlassen und geht auch nicht ans Telefon. Seit sie nicht mehr da ist, bekommt Hank nachts Besuch von einer Kreatur, die ein Panther, ein Kätzchen oder ein Alien sein könnte. Seine Haustür ist komplett zerkratzt. Doch niemand glaubt ihm die Geschichten vom Monster, das auch ein innerer Dämon sein könnte.
Die Filmemacher Jeremy Gardner und Christian Stella halten geschickt die Balance zwischen Horror, Fantasy und Mumblecore-Milieustudie. Die Atmosphäre wirkt vor allem deshalb so beklemmend, weil nicht klar wird, ob Hank seine Einsamkeit mit Alkohol und Wahnvorstellungen ausagiert – oder ob die „Chainsaw Massacre“-Anspielung vom Filmanfang vielleicht doch keine Fantasie war. Hanks wenige Begegnungen in seiner Bar in der Stadt zeichnen zudem ein eher tristes Bild der US-amerikanischen Provinz.
Immer auf der Kippe
Weil der betont langsam erzählte Film lange Zeit zwischen lakonischen Alltagsimpressionen und den Erinnerungen an eine verlorene Liebe changiert, bleibt in der Schwebe, ob hier ein Weg in den Wahnsinn skizziert wird. Denn plötzlich ist Abby wieder zurück, ganz selbstverständlich. Die geduldig etablierte Stimmung des Ungewissen und Unheimlichen tritt plötzlich in den Hintergrund und der Film kippt in eine Liebesgeschichte, mitten in der Krise. Abby sagt, dass sie ein Klassentreffen in Miami besucht hat und, weil sie als Einzige in ihrer Familie schon einmal geflogen ist und deshalb in der großen, weiten Welt war, einen Monat „Auszeit“ von der Beziehung genommen habe. Mit Gründen, die sie Hank ausführlich darlegt.
Ganz organisch liefert Abby weitere Puzzleteilchen, die sich passgenau zum ersten Teil des Films zum Porträt schädlicher Männlichkeit fügen. Hank ist ein leidenschaftlicher Jäger, der die Nähe der Natur sucht und nicht nur wortkarg und eigenbrötlerisch ist, sondern auch nicht gut zuhören oder differierende Perspektiven zulassen kann. Abby hat alle ihre Träume von einem auch kulturell erfüllten Leben ihrer Liebe zu Hank geopfert; dessen einst hinreißend liebenswerte Aufmerksamkeit aber ist längst abgekühlt.
Verspätete Liebeserklärung
Zehn Jahre nach dem Beginn ihrer Beziehung zieht die mittlerweile 34-jährige Abby eine ernüchternde Bilanz: unverheiratet, kinderlos und an einem Ort, an dem sie nie leben wollte. Hank reagiert abweisend und unterkühlt. Bei der Geburtstagsfeier aber zeigt Abbys Bilanz erstaunliche Wirkung. Plötzlich geht es unter den Freunden um den „elephant in the room“. Jetzt ist es Hank, der gereizt abrechnet, allerdings nicht mit Abby, sondern mit dem Leben in der Provinz. Eine verspätete Liebeserklärung, wenn man so will.
Doch vor den Aufbruch in ein anderes Leben haben die Filmemacher einen wirkungsvollen Knalleffekt platziert, der daran erinnert, dass der Film über die minutiöse Ausbreitung der Beziehungsprobleme einen Faden liegenließ, der in Abbys Traumwelt nicht zu haben wäre.
Eine mutige Genre-Bricolage
Man kann dieses Experiment einer Genre-Bricolage als haarsträubend gewollt empfinden. Doch da die atmosphärische Präsenz der Natur in der Provinz derart bannend gefilmt ist, erscheint die hybride Ambivalenz des Films durchaus tragfähig. Zumal „After Midnight“ auch eine kontrafaktische Lesart erlaubt: nämlich alles, was geschieht, als Hanks allmähliches Abgleiten in den Wahnsinn zu interpretieren. Ohne das blutige, aber versöhnliche Happy End, das auf der anderen Ebene des Films ein Eingeständnis der eigenen Soziopathie ist.