Der Geburtstag (2019)

Drama | Deutschland 2019 | 79 Minuten

Regie: Carlos A. Morelli

Ein unerwartetes Gewitter und andere Unwägbarkeiten lassen einen Kindergeburtstag entgleisen, der sich zu einer kafkaesken Odyssee durch eine Nacht voller Abenteuer, Unheimlichkeiten und absurder Wendungen auswächst, in dem ein Vater und ein Junge die Grenzen zwischen Tragödie und schwarzhumorigem Surrealismus streifen. Der in Schwarz-weiß gedrehte Film spielt mit Erwartungen und Anspielungen und belässt es lange in der Schwebe, ob es sich um ein Drama oder eine Farce handelt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Weydemann Bros./ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Carlos A. Morelli
Buch
Carlos A. Morelli
Kamera
Friede Clausz
Musik
Florian Sievers
Schnitt
Hannah Schwegel · Lorna Hoefler Steffen
Darsteller
Mark Waschke (Matthias) · Anne Ratte-Polle (Anna) · Finnlay Jan Berger (Julius) · Kasimir Brause (Lukas) · Anna Brüggemann (Katharina)
Länge
79 Minuten
Kinostart
25.06.2020
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
W-film/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Spannende Mischung aus Tragödie und schwarzhumorigem Surrealismus, in dem ein Vater und ein Junge nach einem entgleisenden Kindergeburtstag durch eine kafkaeske Nacht irren.

Diskussion

Erfahrene Eltern wissen, dass Kindergeburtstage ab einem gewissen Alter Hochfeiern der Anarchie sind und eine riskante Angelegenheit mit unkalkulierbarer Dynamik. Binnen kürzester Zeit werden dabei Zimmer und Einrichtungsgegenstände umgebaut, weshalb die Idee naheliegend ist, die Feier außer Haus stattfinden zu lassen. Anne, die Mutter des siebenjährigen Lukas, hat die ganze Gesellschaft deshalb vorsorglich im Hof platziert und diesen auch aufwändig dekoriert. Über all dem Gewerke hat sie aber nicht den Wetterbericht zur Kenntnis genommen, was sich bitter rächt.

Gehörig unter Druck

Die Eltern von Lukas sind seit längerem keine Paar mehr; beide haben sich neue Partner gesucht. Matthias, der Vater von Lukas, hat zudem ein echtes Zeitproblem, weil ein wichtiges „Projekt“ kurz vor der Abgabe steht; seit vielen Wochen hat er deshalb keine Zeit für seinen Sohn. Auch zur Geburtstagsfeier kommt er verspätet und hat überdies das Geschenk vergessen, was Lukas ihm nachträgt. Im Anschluss an die Feier ist Matthias überdies mit seiner neuen Freundin verabredet, die an diesem Abend eine wichtige Premiere hat und seine Anwesenheit wünscht.

Matthias steht also gehörig unter Druck und gibt sich keine Mühe, um zu verbergen, dass ihm der Kindergeburtstag herzlich egal ist. In diese Anspannung hinein schießt ein Gewitter mit wolkenbruchartigen Niederschlägen, was die Feier in die Wohnung zwingt und überdies in der ganzen Region zu einer Art Ausnahmezustand führt. Nach der in mehrfacher Hinsicht chaotischen Feier stellt sich zudem heraus, dass ein Kind nicht wie abgesprochen von seinen Eltern abgeholt worden ist. Julius, der gerade erst neu in die Klasse gekommen ist, wurde von Lukas eingeladen, damit er nicht mehr länger so alleine sei, wie das Geburtstagskind ausführt. Julius würde gerne bei Lukas übernachten, doch da nimmt Anna nun Matthias in die Pflicht. Wenn er schon zu seiner neuen Freundin aufbrechen müsse und ihr auch Lukas am kommenden Wochenende wieder nicht abnehme, solle er gefälligst Julius nach Hause bringen. Das Problem dabei ist, dass Lukas nicht weiß, wo er wohnt und auch die Telefonnummer seiner Eltern nicht kennt. Zudem ist er nicht gesund, sondern leidet unter Laktoseintoleranz und will auch deshalb nicht nach Hause, weil sein Bett nach Krankenhaus rieche.

Der Elefant im Raum

Das Grandiose an den ersten Minuten von „Der Geburtstag“ des Regisseurs Carlos A. Morelli besteht darin, das längst nicht ausgemacht ist, ob es sich dabei um ein Drama oder eine Farce handelt. Matthias bewegt sich konsequent am Rande des Nervenzusammenbruchs, Anna ist nicht nur davon genervt – und die Kinder führen eigene Absichten im Schild, die allerdings nur teilweise ausgesprochen werden. Zudem legt der Film allerlei Spuren, die eine aufmerksame Wahrnehmung erfordern. Und dann steht auch noch ein Elefant im Raum, ein frisch geborenes Elefantenbaby, das Lukas fasziniert. Weil er gelesen hat, dass Elefantenbabys sehr schnell wachsen, wäre „jetzt, sofort“ der richtige Augenblick für einen Zoobesuch. Doch der Vater hat keine Zeit, und die Mutter andere Pläne. Als schließlich doch noch die Adresse von Julius ermittelt wird, macht sich Matthias mit dem Jungen auf den Weg.

Was folgt, ist eine furiose, geradezu kafkaeske Odyssee durch eine Nacht voller Abenteuer, Unheimlichkeiten und absurder Wendungen, die für beide Reisenden durchaus tödlich enden könnte. Mit atemberaubenden Pointen, bei denen die Grenzen zwischen Tragödie und schwarzhumorigem Surrealismus verschwimmen. „Der Geburtstag“ ist in einem wunderschönen Schwarz-Weiß gedreht (Kamera: Friede Clausz), was Anspielungen auf die expressionistischen Schattenspiele von „Der dritte Mann“ oder den leisen Reduktionismus von „Alice in den Städten“ erlaubt. Mehr als einmal fühlt man sich atmosphärisch an Filme von Zbynek Brynych erinnert.

Eine Reise ins Schwarz-Weiße

Unterlegt ist die Handlung mit einem stimmungsvollen, leicht jazzigen Score von Florian Sievers. Aus dem Reigen exzellenter Schauspieler ragt Mark Waschke in der Rolle des Matthias heraus, der eine überzeugende Studie eines atemlosen Mannes abliefert, der von einer Kette zufälliger Ereignisse erst überfordert ist und dann binnen weniger Stunden als Opfer eines Raubüberfalls, als Jetzt-wieder-Single, als Einbrecher, als Pädophiler verdächtigt, als Opfer einer Tierattacke, als Gesundheitsgefährder und als Automechaniker an den Rand des Wahnsinns gerät, mühsam die Fassung bewahrt und nur sehr knapp einer Verhaftung als Kindesentführer entgeht.

Wenn am Schluss die Nacht an der Seite von Julius dazu führt, dass Matthias sein Verhältnis zu Lukas überdenkt und etwas unvermittelt auch ändert, mag das etwas moralin erscheinen, aber auch diese Entscheidung ist nicht gerade, sondern als Parcours inszeniert. Für alle, die den Abspann zu Ende sehen, hält der Film noch eine Überraschung parat. Was nicht anders denn als grundsätzliche Freundlichkeit gegenüber Menschen gewertet werden kann. Manchmal gehen Wünsche doch noch rechtzeitig in Erfüllung. Manchmal müssen Projekte auch mal warten.

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