Auf grisseligem VHS-Material tanzt ein kleiner Junge im Kostüm für die Kamera. Er ist als „Sailor Moon“ verkleidet, als Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit aus der gleichnamigen japanischen Anime-Serie. Die Figur schwebt als guter Geist durch „Futur Drei“, den Debütfilm des Kölner Filmemachers Faraz Shariat und seines Kollektivs „Jünglinge“. Am Fantasy-Vorbild der Serie hält sich der Deutsch-Iraner Parvis auch noch mit Anfang 20 fest und trägt deren Geist selbstbewusst vor sich her. Parvis wirkt in die Gesellschaft integriert und lebt offen schwul. Seine Eltern kamen nach Deutschland, um ihm und seiner Schwester ein gutes Leben zu ermöglichen. Die Familie wohnt in einem Reihenhäuschen mit Garten und Grillnachmittagen. Was für die Eltern harte Arbeit war, ist für Parvis selbstverständlich. Doch als er Sozialstunden in einer Unterkunft für Flüchtlinge ableisten muss, bricht ein Zwiespalt in ihm auf. Der Wunsch, dazuzugehören, und die Sehnsucht, sich zu unterscheiden und die eigene Individualität nach außen zu kehren, scheinen unvereinbar.
Fließender Übergang zwischen Realität und Fiktion
Der Filmemacher Faraz Shariat lehnt Parvis’ Geschichte an seine eigene Jugend an; wie der Protagonist hat auch Shariat Sozialstunden absolviert; seine eigenen Eltern spielen Parvis’ Vater und Mutter, und die Home-Videos sind Aufnahmen, die sein Vater von ihm gemacht hat. Später trägt Parvis bei einer Kostümparty das Sailor-Moon-Outfit; das Spiel mit fluiden Identitäten jenseits von Gesellschaftserwartungen oder Genderfragen ist für ihn stets auch eine Selbstfindung. Der bonbonbunte Fantasy-Kosmos um Sailor Moon ist einer der Anker, die Realität und überhöhte Fiktion miteinander verknüpfen. Autobiografie bedeutet in „Futur Drei“ mehr als nur Faktenwiedergabe; es geht um ein Gefühl der Zugehörigkeit, bei der der Übergang von Realität und Fiktion fließend ist.
Parvis verliebt sich in der Unterkunft in den aus dem Iran geflohenen Amon, der vor seinen Landsleuten nicht zugeben kann, dass er sich für den Deutschen interessiert. Amons Schwester Banafshe wird schnell zu einer guten Freundin von Parvis, die seine innere Zerrissenheit nachfühlen kann. Banafshe wartet auf ihren Aufenthaltsbescheid; ihr Schicksal liefert für die emotionalen Entwicklungen von „Futur Drei“ auch einen äußeren Spannungsbogen.
Es geht hier jedoch um viel mehr als das Multikulti-Betroffenheitskino, in dem das traurige Schicksal Geflüchteter ausgeschlachtet wird, oder erst recht um etwas anderes als in jenen Wohlfühlkomödien, in denen Migration zum klischeebehafteten Witz eingedampft wird. Das post-migrantische Kino von „Futur Drei“ ist in der deutschen Filmlandschaft längst überfällig. Das Kollektiv um Faraz Shariat bewegt sich selbstbewusst zwischen den Kulturen und hebelt damit Hierarchien und Machtstrukturen aus – diverse, queere und feministische Geschichten fließen durch die Musikvideo-Ästhetik mit eklektischen Verweisen aus der Popkultur zusammen und entwickeln einen rauschhaften Sog.
Aktivistisches Popcornkino
Shariat versteht „Futur Drei“ als „aktivistisches Popcornkino“; politisches Bewusstsein und Unterhaltung müssen sich nicht ausschließen. In seiner Selbstermächtigung wendet sich der Film aktiv gegen Diskriminierungen durch Herkunft, Geschlecht und Sexualität und wird so zum künstlerischen wie identitätspolitischen Befreiungsschlag.
„Futur Drei“ ist auch deshalb ein Film der Selbstermächtigung, weil er sich der eigenen Produktionsbedingungen nicht nur bewusst ist, sondern diese aktiv so gestaltete, dass keine althergebrachten Machtstrukturen reproduziert werden. Shariat gründete mit Kommilitonen das Kollektiv „Jünglinge“, um bewusst Machtgefüge zu umgehen und auch im Produktionsprozess respektvolle Strukturen zu schaffen. Das Kollektiv lebt die eigene Message der Repräsentation und Diversität auch hinter der Kamera vor. Dass „Futur Drei“ als unabhängige Einreichung in einem Wettbewerb für Abschlussarbeiten deutschsprachiger Filmhochschulen bei den „First Steps Awards“ den Preis für den besten Nachwuchsfilm gewann, ist daher auch ein wichtiges Zeichen.
Der rauschhafte Mix aus Autobiografie und popkultureller Überhöhung, aus Emotionen, Erfahrungen und Ästhetiken macht „Futur Drei“ zu einer dreidimensionalen Erlebniswelt, in der Migrationserfahrungen und andere persönlichkeitsbildende Narrative miteinander kommunizieren. „Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, alles immer doppelt zu erleben: als die, die ich hätte sein können, und die, die ich bin“, sagt Banafshe einmal und fasst damit den Bruch zusammen, der ihrer Erfahrungswelt innewohnt. Sie versucht das nicht zu verheimlichen, sondern kehrt die Zerrissenheit selbstbewusst nach außen, denn nur so kann sie ins allgemeine Bewusstsein rücken und zu einer positiven Diversität umgedeutet werden.