Drama | Brasilien/Frankreich 2019 | 102 Minuten

Regie: Matias Mariani

Ein Nigerianer begibt sich auf die Suche nach seinem verschwundenen Bruder in die brasilianische Metropole São Paulo, nachdem dieser vor Jahren dorthin ausgewandert ist. Dabei kommen Widersprüche und Lügen über die nebulöse Identität des Verschollenen zum Vorschein, die auch seinen Bruder in eine Identitätskrise stürzen. Das Drama nimmt seine kriminalistische Suche als Fundament, kreist jedoch vor allem um Fragen nach Zugehörigkeit der afrikanischen Diaspora. In der Atmosphäre zunehmender Unsicherheit bestechen vor allem die präzise Kameraarbeit und die spannungsreiche Musik. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CIDADE PASSARO
Produktionsland
Brasilien/Frankreich
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Primo Filmes/MPM Film/Tubuleira Filmes/SP Cine
Regie
Matias Mariani
Buch
Matias Mariani · Chika Anadu · Francine Marbosa · Júlia Murat · Maíra Bühler
Kamera
Léo Bittencourt
Musik
Flemming Nordkrog
Schnitt
Isabelle Dedieu · Luisa Marques
Darsteller
OC Ukeje (Amadi Igbomaeze) · Indira Nascimento (Emília Nascimento) · Paulo André (Miro Kuzko) · Ike Barry (Chefe Ogboh) · Chukwudi Iwuji (Ikenna Igbomaeze)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Drama um einen jungen Nigerianer, der sich in der brasilianischen Metropole São Paulo auf die Suche nach seinem verschwundenen Bruder macht.

Diskussion

Ein Afrikaner in São Paulo. Mit Gitarre, Kopfhörer und Rollkoffer irrt der Musiker Amadi (OC Ukeje) durch die brasilianische Großstadt, wo sich Hochhausschluchten und Autobahnen ineinander zu einem undurchsichtigen Labyrinth umschlingen. Amadi ist aus seinem Heimatland Nigeria hierhergereist, um seinen älteren Bruder Ikenna (Chukwudi Iwuji) zu suchen. Dieser ist seit einem Jahr spurlos verschwunden. Anrufe und Nachrichten bleiben unbeantwortet. Auch der Onkel der beiden, der ebenfalls ausgewandert ist, kann dem Neffen nicht weiterhelfen.

Migrationsgeschichte als Geistergeschichte

Migrationsgeschichten sind oftmals Geistergeschichten. In dem Neo-Noir-Thriller „A Land Imagined“ verschwindet in Singapur ein chinesischer Wanderarbeiter von einer Baustelle, und in dem Filmdrama „Atlantique“ verlässt ein Bauarbeiter seine Heimat Senegal über den atlantischen Ozean und kehrt als Geist zurück. Auch in „Shine Your Eyes“ bleibt die Existenz von Ikenna sehr lange in der Schwebe. Das Rätsel um die Leerstelle, die er hinterlassen hat, ist größer als die Spuren, die Amadi zunächst ausfindig machen kann. Er stößt auf widersprüchliche Angaben über seinen Bruder: War er ein Statistikprofessor an der Universität? Ein Gamer? Ein Zocker? Ein Liebhaber? Ein Einzelgänger?

Als Amadi das angebliche Universitätsgebäude betritt, stellt sich heraus, dass das Hochhaus der Regierung gehört. Der Onkel wiederum erzählt dem Neffen, dass Ikenna Spielschulden durch Pferderennen und Computerspiele angehäuft habe. Als Amadi auf der Pferderennbahn einen alten Bekannten seines Bruders trifft, erfährt er von ihm, dass der Verschwundene unter dem Namen Charlie eine ganz andere Biographie vorgegeben hat – eine Biographie ohne Bruder. Amadi verliert sich in dem Großstadtdschungel, in einem Asylheim, in einem Restaurant und in einer Karaoke-Bar. Genauso bedrückend wie die Betonbunker von São Paulo von dem Kameramann Leonardo Bittencourt eingefangen sind, wirkt die düster-jazzige Musik von Flemming Nordkrog. Fast paranoid ist die Atmosphäre, obwohl sich die Menschen nur durch die Monotonie des Molochs bewegen.

Das Glück und die Bedrohung in der Fremde

Immer mehr passt sich Amadi dem urbanen Alltag an und endet in Sackgassen. Erzählerisch verlangt das in Zusammenhang mit den langen Kameraeinstellungen Geduld, doch die Suche versandet zum Glück nicht im Nichts. Außerdem drängt sich immer mehr die Frage in den Vordergrund, wer Amadi selbst ist. Er bekommt ein paar Mal gesagt, dass er seinem Bruder sehr ähnlich sehen würde, und dann fängt er auch noch eine Affäre mit dessen früherer Geliebten an. Amadi glaubt sogar, dass Ikenna in ihm wiedergeboren wurde. Die Orientierungslosigkeit der Hauptfigur schlägt zunehmend in eine Identitätslosigkeit um.

Der brasilianische Regisseur Matias Mariani zeigt mit dem Film, wie ein Teil der afrikanischen Diaspora versucht, die Verbindung zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten, während ein anderer Teil versucht, sich davon abzutrennen. Der Onkel, der einen Friseursalon für eine hauptsächlich afrobrasilianische Kundschaft betreibt, meint einmal zu Amadi, dass der Druck der Familie Ikenna zu einem Lügner werden ließ, um sie glücklich zu machen: „Seid ihr glücklich?“ Amadi hat darauf keine Antwort.

Verloren in einem fremden Land

Die kriminalistische Suche nach seinem verschwundenen Bruder bildet zwar das narrative Gerüst, doch die Stärke des Films liegt darin, dass er eine Atmosphäre schafft, in der die Frage nach Identität und Zugehörigkeit im Vagen bleibt. Dank der Kameraarbeit und der Musik bleibt die Spannung durchgängig erhalten. Es steigert sich das Gefühl der Unsicherheit, wenn Amadi unbekannte Ecken aufsucht und sich in bedrohlichen Situationen wiederfindet. Am bedrohlichsten wird es dann dort, wo er das Familiäre erwartet hätte. In einem fremden Land kann sich jeder verlieren – egal ob Auswanderer oder Besucher.

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