Ein Mann von acht Jahren

Kinderfilm | UdSSR 1982 | 78 Minuten

Regie: Usman Saparow

Ein Achtjähriger lebt glücklich und geborgen mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Turkmenien. Sein Vater, der als Schafhirte in der Steppe arbeitet, nimmt ihn während der Ferien mit ins Lager. Dem ängstlichen Jungen setzen die harten Lebensbedingungen in der rauhen Natur sehr zu. Doch als sich seine Angst legt, wachsen seine Kraft und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ein eindrucksvoller Kinderfilm, der die Diskrepanz zwischen dem Leben als Kind und den Anforderungen einer weitgehend archaisch geprägten Gesellschaft darstellt; dabei zeichnet er die kindliche Psyche unaufdringlich und ungewöhnlich mitfühlend. (TV-Titel DDR: "Männliche Erziehung") - Sehenswert ab 8.
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Filmdaten

Originaltitel
MUSHSKOJE WOSPITANIJE
Produktionsland
UdSSR
Produktionsjahr
1982
Produktionsfirma
Turkmenfilm
Regie
Usman Saparow · Jageldy Seidow
Buch
Tschary Japan · Usman Saparow
Kamera
Nurjagdy Schahmuchamedew
Musik
Nury Chalmamedow
Schnitt
J. Fedina · N. Basarowa
Darsteller
Begentsch Kurbandurdyjew (Tschaman) · Ata Dowletow (Mergen-Aga) · Durdymamet Orajew (Seili) · Gulja Kerimowa (Dsheren)
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 8.
Genre
Kinderfilm

Diskussion
Ein Film für Kinder und zugleich ein Film über Turkmenen und Turkmenien. Der achtjährige Tschaman lebt mit seiner Mutter, einem Bruder und fünf Schwestern in einer Stadt Turkmeniens. Sie ist eine verheiratete Alleinerziehende, denn der Mann lebt wochenlang als Schafhirte weit draußen. Tschaman fehlt in dieser weiblich dominierten, defacto Ein-Eltern-Familie der Vater, von dem der Junge lernen könnte, was Mann-sein heißt.

Von den Spielgefährten - Jungen wie Mädchen - wird der ängstliche Tschaman oft ausgelacht und gehänselt. Sein Vater beschließt, ihn in den Schulferien mitzunehmen, damit Tschaman "ein Mann" werde. Vater und Großvater erwarten von Tschaman, was der Tradition nach von einem Jungen in der Steppe bei den Herden selbstverständlich erwartet wird. Er enttäuscht sie, seine Fertigkeiten sind auf ein Leben in der Stadt ausgebildet. Das eng mit der Natur verbundene Leben ist ihm fremd, verängstigt ihn. In den Augen des Vaters und Großvaters versagt er. Vor der Härte des halbnomadischen Lebens flieht Tschaman zurück in die Stadt, den Ort der Zivilisation. Aus einem Kofferradio hört er die Warnung vor einem Sandsturm. Aus Verantwortung gegenüber den Schafen kehrt er um.

Auf einer Ebene erzählt der Film von dem schwierigen, schmerzhaften Prozeß der Selbstfindung eines Achtjährigen, von unmittelbarer Aneignung von Welt durch affektive Orientierung an konkreten Vorbildern, von dem Erwerb von Fertigkeiten durch Hinschauen und "Imitation", vom Reifen durch Erfahrung, Verantwortung und Bewährung. Insofern ein Film über die pädagogischen Grundfragen des Lernens. Auf einer weiteren Ebene handelt der Film von der Bewahrung und Weitergabe einer Lebensform. Tschaman muß den Konflikt zwischen einer städtischen Kultur, wo Fremde und Fremdes bestimmend sind, und der herkömmlichen Lebensform der Steppe, verkörpert durch den Großvater und Vater, in sich austragen. Am Schluß der Geschichte reiht sich Tschaman in die Geschlechterkette ein, denn tief in ihm ist turkmenisches Erbe verwurzelt. Auf einem Kamel sitzend träumt er, ein großer Heerführer zu sein; die Kamera zeigt ihn aus der Untersicht in entsprechender Pose, die Schrittrichtung des Kamels ist von rechts nach links, d. h. von Ost nach West, der ständigen Wanderrichtung der Turkvölker seit dem Beginn ihrer erinnerten Geschichte. Bewahrung der Tradition, das zeigt der Film an einem Auftritt einer Wandertruppe, bedeutet auch, sich dagegen zu wehren, daß Brauchtum zur folkloristischen Show verkommt. Bemerkenswert, daß Tradition nicht als etwas Statisches verstanden wird, sondern als ein Prozeß der Fortschreibung durch Integration neuer Momente, hier exemplarisch am Transistorradio und am Motorrad veranschaulicht.

Saparow/Sejidow erzählen ihre Geschichte gradlinig, lange ruhige Kameraeinstellung lassen genügend Zeit, sich auf Personen und Landschaft einzulassen. In Tschamans Gesicht spiegeln sich Angst und Furcht wider. Die Spannung zwischen den Großaufnahmen seines Gesichtes und der in Totalen und Kamerafahrten eingefangenen Landschaft vermittelt die Dramatik, die sich in Tschaman abspielt. Ein ausgezeichneter Film für Kinder, die Lebenssituationen von sich wiedererkennen können; ein Film über Tradition und deren Weitergabe, über ein interessantes Land Mittelasiens.
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