Polizeiruf 110 - Die Lüge, die wir Zukunft nennen

Krimi | Deutschland 2019 | 90 Minuten

Regie: Dominik Graf

Die Überwachung eines Unternehmens, das illegale Geschäfte an der Börse betreiben könnte, verschafft den beteiligten Polizisten Insider-Informationen, mit denen sie anfangs gewinnbringend spekulieren. Als die Börsenaufsichtsbehörde aber Verdacht schöpft, sehen sie sich einer internen Ermittlung ausgesetzt, was heftige Aggressionen zwischen den Beteiligten auslöst. Finsteres Polizeidrama, in dem die Hoffnungslosigkeit der Charaktere von Beginn an ein latentes Gewaltpotenzial birgt, das sich zunehmend in Ausbrüchen äußert. In der sprunghaften und eruptiven Erzählung erweisen sich die Frauenfiguren als ruhender Pol neben den haltlosen Männern. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Maze Pic.
Regie
Dominik Graf
Buch
Günter Schütter
Kamera
Martin Farkas
Musik
Sven Rossenbach · Florian van Volxem
Schnitt
Claudia Wolscht
Darsteller
Verena Altenberger (Elisabeth "Bessie" Eyckhoff) · Andreas Bittl (Wolfgang Maurer) · Wolf Danny Homann (BaFin-Mitarbeiter Lukas Posse) · Berivan Kaya (Meryem Chouaki) · Dimitri Abold (Tobias Rast)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Polizeifilm
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Zweiter „Polizeiruf 110“-Einsatz für Oberkommissarin Bessie Eyckhoff, die in ein finsteres Drama um illegale Spekulationen ihrer Kollegen und eine interne Ermittlung hineingezogen wird.

Diskussion

Die zweite Folge des neuen Münchner „Polizeirufs 110“ mit Verena Altenberger als Polizeioberkommissarin Elisabeth Eyckhoff hatte es in sich. Das begann mit der Erzählkonstruktion, die das Geschehen auf unterschiedlichen Zeitebenen ansiedelte. So rahmte ein Verhör, in dem Elisabeth Eyckhoff von Vorgesetzten und der Dienstaufsicht zu Vorkommnissen in ihrer Einheit befragt wird, die Geschichte um die polizeiliche Abhöraktion einer Firma, die mit Aktien handelt.

Im Zuge der Ermittlungen bekommen die Polizeibeamten mit, dass der Chef der Firma ein großes Spekulationsgeschäft gestartet hat. Sie beschließen – Eyckhoff macht dabei nicht mit –, sich mit Erspartem und geliehenem Geld an der von ihnen beobachteten Spekulation zu beteiligen. Zunächst scheint alles gut zu gehen, der Kurs der Aktie, die sie gekauft haben, steigt rasant. Doch ehe sie verkaufen können, wird der Handel der Aktie ausgesetzt. Die Börsenaufsicht hat die Spekulation gewittert.

Kurz vor der glücklichen Zukunft gescheitert

Kurz vor dem Erreichen des Ziels und – wie sie glauben – einer glücklichen Zukunft gescheitert zu sein und die nachfolgende Untersuchung der Vorgänge durch ihre Vorgesetzten setzen bei den Polizisten der Einheit Aggressionen frei. Nun bekämpfen sie einander, wie Elisabeth Eyckhoff mit Entsetzen feststellen muss, ehe die Geschichte in mehreren Gewaltexzessen geradezu explodiert.

Eine Pointe der finsteren Geschichte besteht darin, dass die Abhöraktion vom Staatsanwalt nur betrieben wurde, um sich am Besitzer der Firma zu rächen, der ihm, als er mit dessen Tochter flirten wollte, eine Ohrfeige verpasst hatte. Eine weitere darin, dass die illegale Spekulation, die von der Firma betrieben wurde, am Ende unter den Teppich gekehrt wird, so dass alle mit Ausnahme ausgerechnet der Polizeibeamten gut aus der Sache herauskommen. Eine dritte Pointe setzt die Polizistin Meryem Chouaki (Berivan Kaya), als sie im Verhör auf die Frage, ob ihr Verfehlungen der Polizei bekannt seien, womit der vernehmende Beamte auf die Aktienspekulation anspielen will, an der sie mit ihren Kollegen beteiligt war, antwortet: „Gestapo, Volkspolizei, Reichssicherheitshauptamt.“

Emotionen wie Lavafontänen

Doch Dominik Graf, der „Die Lüge, die wir Zukunft nennen“ nach einem Drehbuch von Günter Schütter inszenierte, war hier nicht an einer Farce aus der Welt der Finanzkriminalität interessiert, auch nicht an der Entlarvung des Zusammenspiels von Polizei, Justiz und Kapital. Stattdessen konzentriert er sich auf die Emotionen, die aus den Figuren ausbrechen wie Lavafontänen aus einem Vulkan. So ist die Gewalt, die sich mehrfach im Film entlädt, bereits von Beginn an zu spüren, wenn beispielsweise die Mitglieder der Polizeieinheit bei einer Geburtstagsfeier über die Stränge schlagen, um dann das Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ in einer Punkversion herauszugrölen. Ein Grund für die latente Gewalt ist die Hoffnungslosigkeit eines jeden in dieser Einheit. Die Aktienspekulation war der verzweifelte Versuch, dem zu entkommen.

Dominik Graf erzählt die Geschichte aber nicht linear. So springt er in der Geschichte mal vorwärts, als habe er willkürlich mit einer Fernbedienung mehrere Szenen übersprungen. Manches, aber nicht alles, wird dann nachträglich von den Beteiligten einander erzählt. Am Anfang meldet sich sogar einer der Polizisten aus dem Off zu Wort, der dem Fernsehpublikum seine Kollegen mit Dienstgrad und finanziellem Hintergrund vorstellt. Radionachrichten sowie Mitschnitte und Live-Bilder aus der Überwachungsaktion ermöglichen weitere Sprünge in der Erzählung, die über Uhren und Datumsangaben oder Zeitrafferaufnahmen annonciert werden.

Ein Wirbel aus Verweisen und Erinnerungsbildern

Verweise auf die Filmgeschichte wie das Nachstellen einer Szene aus „Der Dialog“ von Francis Ford Coppola oder eine Slapstick-Szene, in der ein Betrunkener durch die Flussniederung getragen, geschoben und gezogen wird, und viele Duschszenen – alleine, zu zweit, mit oder ohne Kind – reichern die Handlung an. Mehrfach unterbrechen auch Erinnerungsbilder das laufende Geschehen, am stärksten die Montagesequenz, die Bilder aus dem Leben des Polizisten zeigt, der nach einem Schusswechsel seinen Verletzungen erliegt. Figuren wie ein Mann von der Börsenaufsicht mit dem sprechenden Namen „Posse“ oder die Tochter des Chefs der Aktienfirma tauchen erst nach 20 Minuten auf, obwohl sie entscheidend für die Handlung werden. All das erzeugt erzählerisch einen Wirbel, der einen in den Film hineinzieht, ob man nun will oder nicht.

Verena Altenberger als Polizeioberkommissarin Elisabeth Eyckhoff bildet den einzigen Ruhepol in dieser hektischen, sprunghaften und eruptiven Erzählung. Dieser Beamtin nimmt man ab, dass sie ihre Kollegen nicht verraten will, dass sie alles versucht, um sie halbwegs unbescholten aus der Affäre herauszumanövrieren. Immer wieder schneidet Graf eine Groß- oder Nahaufnahme der Altenberger ein, wie sie ihre Kollegen und die Umgebung mustert. Doch sie beobachtet nicht nur, sondern handelt auch, etwa wenn sie im Verhör der Rahmenhandlung ihre Wut darüber hinausschreit, dass ihre Kollegen ob der Spekulation verfolgt werden, während man diejenigen laufen lässt, die den weitaus größeren Deal angeschoben hatten. Und als eine Frau bei dem Mann von der Börsenaufsicht, mit dem Eyckhoff ein Verhältnis angefangen hat, eine Leibesvisitation vornehmen will, wirft die Kommissarin sich mit den Worten „Pack meinen Kerl nicht an!“ dazwischen.

Die Frauen sind die starken Figuren

Ohnehin sind die Frauen die starken Figuren in dieser „Polizeiruf“-Folge. Sie sind diejenigen, die Beziehungen und Liebesgeschichten beginnen und beenden. Die eine gönnt sich einen dauerhaften Liebhaber, dem sie neue Zähne spendiert, damit er besser aussieht. Eine andere, die am Ende dem verletzten Polizisten medizinisch hilft, hatte vorher einen von ihnen, der nebenbei als Callboy arbeitet, für eine Liebesnacht bezahlt. Wieder eine andere berichtet, dass sie einmal, als ein Footballspieler sie nicht wahrnehmen wollte, dessen Verein gekauft habe und den Spieler anschließend „auf der Reservebank verrotten“ ließ.

Und Elisabeth Eyckhoff gelingt, was den anderen nicht gelungen war: den gewalttätigsten Mann aus der Gruppe der am Spekulationsgeschäft beteiligten Polizisten zu verhaften und den Deal aufzudecken, den ihr Freund, der Mann von der Börsenaufsicht, mit der Aktienhandelsfirma abgemacht hatte. Die Liebe, die gerade begonnen hatte, endet also schon wieder. Als der Mann, bevor er abgeführt wird, großspurig davon spricht, dass sie ihn nicht so leicht vergessen werde, bleibt sie noch kurz und drückt ihm zum Abschied die Hand, dass es schmerzt. Ein finsterer Film, der folgerichtig mit dem Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ endet, diesmal a cappella gesungen.

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