Wir sind die Welle
Drama | Deutschland 2019 | Minuten
Regie: Anca Miruna Lăzărescu
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Rat Pack Filmproduktion
- Regie
- Anca Miruna Lăzărescu · Mark Monheim
- Buch
- Jan Berger · Kai Hafemeister · Ipek Zübert · Thorsten Wettcke
- Kamera
- Jan-Marcello Kahl
- Musik
- Heiko Maile
- Schnitt
- Ann Carolin Biesenbach · Piet Schmelz · Florian Drechsler · Marco Pav D'Auria · Friedemann Schmidt
- Darsteller
- Luise Befort (Lea Herst) · Ludwig Simon (Tristan Broch) · Michelle Barthel (Zazie Elsner) · Daniel Friedl (Hagen Lemmart) · Mohamed Issa (Rahim Hadad)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Serie | Thriller
Eine vom Roman "Die Welle" und von Dennis Gansels Verfilmung (2008) inspirierte deutsche Serie um eine Gruppe von Schülern, die sich angeführt von einem neuen Mitschüler zusammentun, um etwas an den bestehenden Zuständen zu ändern.
Am Anfang von „Wir sind die Welle“ ist man mittendrin. Ein Vorgeschmack auf die Geschichte, die über Haltung und Idealismus, Sinn und Wirksamkeit der Proteste, vor allem aber über deren Risiken und Gefahren erzählen möchte – und das alles bei den Jugendlichen von heute.
Doch bevor sie all das wirklich erzählt, rollt die Serie ein wenig zurück, beginnt von vorne, etabliert die Figuren und ihre Lebenswelt auf dynamische und reizende Art. Wir hören „Bury a Friend“ von Billie Eilish, der coolen Lieblingssängerin der modernen Teenager. Der Song ist trendy, verführerisch und depressiv düster. Der Schulalltag im fiktiven Meppersfeld klingt außerdem nach Santigold und Champyons, Slaves, Übersleep, Ali As und anderen. Was eine tolle Musikauswahl alles bewirken kann! Und dazu klingeln Wecker, Smartphones machen andauernd „kling“, Push-Benachrichtigungen lassen nicht locker, Displays leuchten, bunte Feeds wollen durchgescrollt werden. Der Rhythmus, der in dieser melodischen Gesamtheit entsteht, ist gefühlt eine feste Umarmung. Dieser Rhythmus hat etwas, er ist vertraut und straff wie Skinny Jeans, wie kurze, eng geschnittene Bomberjacken, die hier alle tragen. Wir befinden uns am „Geschwister-Scholl-Gymnasium“ in der deutschen Provinz.
Die gesellschaftliche Schieflage ist akut und sonnenklar
Der Dresscode ist alles. In „Wir sind die Welle“ hat sich der Head-Autor Jan Berger ein Deutschland ausgedacht, wo Schlabberlooks und St. Pauli T-Shirts einen in Gefahr bringen können. Die Serie ist von Dennis Gansels „Die Welle“ (2008), der Verfilmung des gleichnamigen Jugendroman-Klassikers aus den 1980ern, frei inspiriert, Dennis Gansel und sein damaliger Co-Autor Peter Thorwarth fungieren diesmal als Executive Producer. Im Jugendklassiker „Die Welle“ war der aufgeklärte Status quo zwar fragil, doch die Welt insgesamt in Ordnung. Im neuen Netflix Original ist die gesellschaftliche Schieflage dagegen akut und sonnenklar. Ausländerfeindlichkeit darf auf der Straße offen ausgelebt werden, das Klima ist nervös. Wer sich nicht betroffen fühlt, schweigt. Und wer sehr wohl betroffen ist, schweigt trotzdem. Das Leben liefert die besten Geschichten, sagt man. In „Wir sind die Welle“ bedienen sich die Autoren deshalb viel und direkt aus dem Heute. „NfD“ heißt hier die rechtsextreme Partei mit Blau-Weiß-Logo, sie führt gerade eine erfolgreiche Wahlkampagne. Klingelt da etwas? Der Kandidat Horst Berndt (Stephan Grossmann) verspricht, nach dem Machtantritt als Erstes „richtig aufzuräumen“.
Ein Feuer, das ausbrechen will
Tristan (Ludwig Simon) ist neu am Gymnasium. Mit seiner Jogginghose, Kapuzenpulli, löchrigen Sneakers und einer Plastiktüte statt Rucksack mag er uns gewöhnlich vorkommen. Das ist er nicht ganz. Tristan spricht Arabisch, kennt den Rebellenruf der algerischen Widerstandskämpfer, spielt Beethovens „Für Elise“ am Klavier. Schule und Zuhause hat er bereits weit hinter sich gelassen, sein Blick verrät Lebenserfahrung. Um Tristan herum bildet sich schnell eine Außenseiter-Clique. Dabei sind der Bauernsohn Hagen (Daniel Friedl), Rahim (Mohamed Issa), dessen Eltern aus dem Libanon stammen, die introvertierte Zazie (Michelle Barthel). Eine Ausnahme in der Runde ist Lea (Luise Befort), hübsch, beliebt, liiert mit einem geleckten Jurastudenten. Den Studenten vergisst sie bald, denn Tristan macht etwas mit ihr. Bei jeder und jedem von ihnen drückt er auf die richtigen inneren Knöpfe, verhilft allen zu der eigenen Stimme, zum Freiheitsgefühl, zu den innigen Wünschen, die sie selbst nicht einmal ahnten. Setzt etwas in Gang, das bei Zazie, Lea, Hagen und Rahim jeweils Unterschiedliches zeitigt. „Sie waren ein Feuer, das ausbrechen wollte“, sagt die Stimme aus dem Off. „Er hat den Funken entfacht.“
So wird man also politische Aktivistin? Allgemeine Veranlagungen können entscheidend sein, Familienumstände, Eltern, die fehlen oder allzu fürsorglich sind. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe, persönliche Betroffenheit, so etwas Banales wie Gruppenzwang. „Wir machen eine Welle“ schreiben sie groß an die Schulfassade. Die Welle, das ist ein Aufruf zur Veränderung, ein Protest gegen Missstände und Ungerechtigkeit. Sexismus in der Werbung hat diese Jungs und Mädels, zum Beispiel, schon immer angekotzt, genauso wie Konsumzwang, ungerechte Tierhaltung, Umweltverschmutzung, Nazis und die Superreichen.
Jungsein ist in „Wir sind die Welle“ so ausweglos politisiert
Die Fünf machen Aktionen im öffentlichen Raum, zu Beginn noch lustig, zunehmend großspuriger und riskanter. Wo haben sie das alles bloß gelernt? Die Vorbereitung auf die Aktionen lässt die Serie aus und zelebriert dafür die perfekt getaktete Ausführung, die Kommunikation fast ohne Worte, die schnellen und exakten Handgriffe. Angst vor Perfektion kennt „Wir sind die Welle“ nicht. Das ist hier purer Genrestoff, Kinder, nichts zum Nachmachen! Bald scheinen die eingesetzten Mittel den guten Zwecken auch nicht mehr angemessen.
„Wir sind die Welle“ nimmt sich reichlich Zeit für die Entfachung einer gefährlichen Dynamik, fürs Abrutschen in eine Richtung, die mehr mit den inneren Konflikten in der Gruppe als mit der Welt um sie herum zu tun hat. Während die Serie ihre Performance und Tempo zum Höhepunkt forciert, wird sie leider schematisch, trivial und hölzern. Liegen gelassen bleiben die Schule und die Hausaufgaben, die klugen Bücher, die coolen Popsongs. Die Serie lässt ihre Figuren zu früh erwachsen werden oder lässt ihr Alter vielmehr im Beliebigen. Und dabei war das Porträt einer Generation und ihrer Lebenswelt zu Beginn, wenngleich eher skizziert als ausgemalt, gerade das Beste. Jungsein ist in „Wir sind die Welle“ so ausweglos politisiert, dass unter dem enormen Druck das Durchdrehen eigentlich vorprogrammiert ist. Die Welt da draußen ist längst nicht ganz in Ordnung, das stimmt. Aber ist politischer Aktivismus denn gefährlich? Oder ist es die Jugend selbst? Die eigene Haltung der Serie zu ihrer Geschichte und Figuren bleibt leider im gefährlich Unklaren.