Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 91 Minuten

Regie: Christoph Hübner

In neun Kapiteln versammelt der Dokumentarfilm Gespräche mit Menschen, die sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und des Holocaust beschäftigen: Leiter von Museen und Gedenkstätten kommen ebenso zu Wort wie Verantwortliche für die juristische Verfolgung von Tätern und der Erfinder der Stolperstein-Initiative. Die Ergänzung zum Dokumentarfilm „Nachlass“ (2017), in dem es um Nachfahren der Täter- und Opfergeneration und deren Umgang mit dem Erbe des Holocaust ging, entwickelt die dortigen Beobachtungen einer unveränderten Nähe der NS-Verbrechen weiter. In ihrer sachlichen, ruhigen Analyse macht die vielschichtige Reflexion unmissverständlich klar, wie drängend die Aufarbeitung der Vergangenheit ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Christoph Hübner Filmprod.
Regie
Christoph Hübner · Gabriele Voss
Buch
Gabriele Voss · Christoph Hübner
Kamera
Christoph Hübner
Schnitt
Gabriele Voss
Länge
91 Minuten
Kinostart
23.01.2020
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Filmessay
Externe Links
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Heimkino

Auf DVD zusammen mit dem Dokumentarfilm „Nachlass“ erschienen.

Verleih DVD
Film Kino Text/375 Media (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Ergänzung zum Dokumentarfilm „Nachlass“, in der diesmal in neun Kapiteln Menschen zu Wort kommen, die sich von Berufs wegen mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen beschäftigen.

Diskussion

„Benennen und anschauen“ ist einer der Abschnitte in Christoph Hübners und Gabriele Voss' Dokumentarfilm „Nachlass - Passagen“ betitelt. Der Abschnitt ist Teil eines längeren Gespräches mit der Historikerin und Supervisorin Tanja Hetzer über ihre Arbeit mit Familien und deren Geschichte. Schon das Benennen eines Bezugs zur Geschichte des deutschen Mordens im Nationalsozialismus, so Hetzer, kann für das Selbstbild der Nachfahren eine Herausforderung sein. Der Film von Hübner und Voss zeigt Beispiele des Umgangs mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Vernichtungspolitik. Ein Museum und eine Gedenkstätte, die juristische Verfolgung der Täter, Elemente öffentlichen Gedenkens wie die Stolpersteine, konkrete Gegenstände und ihre Geschichte stehen in dem Film nebeneinander. Jedes Kapitel zeigt einen Ansatz, eine Annäherung, einen Versuch, Umgang mit dieser Geschichte zu finden.

In der Berliner Topographie des Terrors sprechen die Filmemacher eingangs mit der Architektin Ursula Wilms über die Herausforderung, auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes einen „ruhigen Rahmen“ für die Auseinandersetzung mit einem Ort der Täter zu schaffen. Diese Auseinandersetzung begann erst ab Mitte der 1980er-Jahre: Zuvor waren ein Abbruchhandel und ein Verkehrsübungsplatz auf dem Gelände. Die heutige umfangreiche Darstellung der Arbeit des Reichssicherheitshauptamtes und seiner Rolle im nationalsozialistischen Terrorsystem ließ lange auf sich warten.

Die Bevölkerung feuerte die SS an

Gleich zwei Kapitel widmen sich der Umgestaltung der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald. Am Beispiel des Fragments eines mobilen Galgens erläutert der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte einen Teil der Neugestaltung. Das spärliche Material über den Galgen, mit dem die SS in den umliegenden Dörfern öffentliche Ermordungen durchführte, konnte durch Recherchen der Gedenkstätte ergänzt werden. Es fand sich etwa die Schilderung einer Hinrichtung in einem Pfarrbuch. Der Pfarrer notiert, die örtliche Bevölkerung habe die SS angefeuert.

Anhand der Darstellung der Funktion der öffentlichen Hinrichtungen wird die Funktion des ehemaligen Konzentrationslagers im Gesamtkontext des Nationalsozialismus deutlich. Das zweite Kapitel zur Gedenkstätte Buchenwald handelt von individuellen Zeugnissen der Häftlinge, darunter ein Miniaturgrabstein für die Brüder eines der Gefangenen, den dieser in der Lagerhaft bei sich trug.

Kurt Schrimm, bis 2015 Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, gibt einen Abriss der Geschichte der Verfolgung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Schrimms Bericht ist ernüchternd. Während seiner Laufbahn sei ihm kein Täter untergekommen, der Bedauern über die eigenen Taten geäußert habe, alle hätten geleugnet. Dem Gespräch mit Schrimm stellt der Film in einem anderen Kapitel ein Gespräch mit Andreas Brendel, dem Oberstaatsanwalt aus dem Prozess gegen den Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning, an die Seite. Die beiden Gespräche zeigen Geschichte und Gegenwart der Strafverfolgung nationalsozialistischer Täter.

Die Erforschung des Mordens dauert noch an

In der Arbeit an der neuen Dauerausstellung in Buchenwald und den Gesprächen mit den beiden Staatsanwälten wird deutlich, dass die Erforschung des deutschen Mordens während des Nationalsozialismus noch immer in Gange ist. Immer noch tauchen Details auf, die zu klären sind, werden Fragen der Verantwortung neu gestellt. Ein Besuch in der Stolperstein-Werkstatt Michael Friedrichs-Friedlaenders zeigt neben diesen Recherchen und der juristischen Verfolgung die alltägliche Arbeit gegen das Vergessen. Über 60.000 Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer sind in der Werkstatt bislang entstanden, jeder erzählt mit einer kurzen Biographie eine individuelle Geschichte, macht diese im Stadtbild sichtbar.

„Nachlass - Passagen“ zeigt ein Mosaik von Ansätzen im Umgang mit dem „Nachlass“ des Nationalsozialismus. In der Zusammenschau drängt sich einmal mehr die Erkenntnis auf, wie nah die Geschichte des Nationalsozialismus und der Vernichtungspolitik noch immer ist, wie allgegenwärtig Zeugnisse und Spuren des Mordens auch heute noch sind. Zwei Jahre nach Nachlass, in dem Hübner und Voss Nachfahren von Tätern und Opfern des NS in ihrem Umgang mit ihren Vätern und Großvätern porträtiert haben, weiten die beiden Dokumentarfilmer*innen nun den Blick auf den gesellschaftlichen Umgang mit der Geschichte. Christoph Hübner und Gabriele Voss haben mit „Nachlass - Passagen“ eine vielschichtige Reflexion der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit gedreht. Der Film ist eine Einladung zur Auseinandersetzung mit der unausweichlichen Hinterlassenschaft.

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