Brüder Kühn - Zwei Musiker spielen sich frei
Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 90 Minuten
Regie: Stephan Lamby
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Eco Media
- Regie
- Stephan Lamby
- Buch
- Stephan Lamby
- Kamera
- Steffen Bohnert · Martin Groß · Boris Mahlau · Knut Muhsik · Axel Thiede
- Musik
- Rolf Kühn · Joachim Kühn
- Schnitt
- Silke Olthoff
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm | Künstlerporträt
- Externe Links
- TMDB
Dokumentarisches Porträt der beiden weltberühmten Jazzmusiker Joachim Kühn und Rolf Kühn.
Der Regisseur Stephan Lamby steht bisher vor allem für Dokumentarfilme über deutsche Innen- und Parteipolitik und deren Protagonisten. Mit „Brüder Kühn“, einem Doppelporträt der in Leipzig aufgewachsenen Jazzmusiker Joachim und Rolf Kühn, bewegt Lamby sich nun in einem anderen Subgenre: der Kulturdokumentation. Gleichwohl tangiert der Filmemacher auch in „Brüder Kühn“ politische Themen, weil das Leben der beiden Protagonisten auf unterschiedliche Weise mit deutscher Zeitgeschichte verwoben ist. Im Kontext von Rolf Kühns Zusammenarbeit mit der jüdischen Jazzlegende Benny Goodman im New York der 1950er-Jahre kommt zur Sprache, dass Kühns Mutter Jüdin war. Die Biografie seines wesentlich jüngeren Bruders Joachim (Jahrgang 1944) hat wiederum insofern politische Bezüge, als er 1966 eine Einladung zum „Wiener Jazz-Treffen“ nutzte, um sich aus der DDR in den Westen abzusetzen.
Saxophon im leeren Pool
Es gibt einen aktuellen Anlass für den Film „Brüder Kühn“: Rolf, der Ältere der beiden, feiert am 29. September 2019 seinen 90. Geburtstag. Zu Beginn von „Brüder Kühn“ ist in verschiedenen Einstellungen zu sehen, wie der Multiinstrumentalist Joachim Kühn in einem leeren Swimmingpool Saxophon spielt. Lamby hat das auch mit einer Drohnenkamera aufnehmen lassen, die sich immer weiter nach oben schraubt. Kühn erzählt, dass er „vor sechs Jahren beschlossen“ habe, nicht mehr zu schwimmen; seitdem lasse er kein Wasser mehr ein. Das macht neugierig! Was ist das für ein Exzentriker, der einen Pool hat, den er nicht nutzt?
Der Untertitel „Zwei Musiker spielen sich frei“ hat unterschiedliche Bedeutungen. Beim Klarinettisten Rolf Kühn bezieht es sich darauf, dass er im Lauf seiner Karriere auch Auftragsmusik gespielt und komponiert hat, etwa für das Fernsehorchester des NDR oder die Bryan-Edgar-Wallace-Romanverfilmung „Der Todesrächer von Soho“ (1971), heute aber nach eigenem Bekunden musikalisch viel freier ist als je zuvor. Bei Joachim Kühn wiederum geht es um Entfaltungsmöglichkeiten, die ihm die Flucht in den Westen ermöglicht hat. Zwei Jahre nach der Flucht erlebte er 1968 in Paris eine gesellschaftliche „Aufbruchsstimmung“. Er selbst spielt damals „freie Musik“. Heute tritt Joachim Kühn, der 1968 „gegen das Establishment“ war, mit seinem Bruder in der Veranstaltungshalle einer Bank in Stuttgart auf. Dass er als Musiker sehr wohl Grenzen austestet und in diesem Sinne frei geblieben ist, belegt auch ein anderer Dokumentarfilm. Für den Film „Transmitting“ (2014) begleiteten Christoph Hübner und Gabriele Voss Joachim Kühn und zwei weitere Musiker bei den Aufnahmen für ein experimentelles Albumprojekt in Marokko.
Haftbefehl & „Haftbefehl“
Zusammen mit den Kühns begibt sich Stephan Lamby an wichtige Orte ihrer Vergangenheit, reist mit Rolf Kühn nach New York oder trifft die zwei, als sie das Studio des legendären Jazzlabels MPS in Villingen besuchen. Obwohl beide jeweils mit jüngeren Musikern auftreten und Platten aufnehmen, wirken sie manchmal wie aus der Zeit gefallen. Das zeigt sich in einer Sequenz, in der sich die Kühns aus ihren Stasi-Akten vorlesen, die Lamby für den Film ausgegraben hat. Unter den Dokumenten findet sich auch ein Haftbefehl gegen Joachim Kühn. „Haftbefehl“ sei doch ein guter Albumtitel, sagt dieser, und sein Bruder scheint das auch so zu sehen. Allerdings gibt es mit Deutschrapper Akyut Anhan einen Musiker, der „Haftbefehl“ als Künstlername führt.
Lamby konzentriert sich auf seine beiden Protagonisten; Äußerungen anderer Personen sind knapp gehalten. Kurz zu Wort kommen Rolf Kühns Ehefrau Melanie – sie bezeichnet die beiden Brüder als „streitunlustig“, was zumindest in Teilen wohl eine vornehme Umschreibung für konfliktscheu ist – sowie der Schlagzeuger Christian Lillinger, der in einer Band mit Rolf Kühn spielt und selbst ein Star in der deutschen Jazzszene ist. In „Brüder Kühn“ gibt es nicht das bei vielen Kulturdokumentationen übliche Aufgebot künstlerischer Weggefährten, die den Porträtierten auf meistens berechenbare Weise loben. Hier treten auch keine Jazzexperten auf, die die Bedeutung der beiden Kühns „einordnen“. Was den Film auszeichnet, ist also zumindest zu einem Teil das, was fehlt.
Bis ins hohe Alter
Hin und wieder findet Lamby Bilder, die die Musik der Kühns ergänzen. Als Joachim Kühn bei einem Konzert ein Stück spielt, das er während eines Krankenhausaufenthalts geschrieben hat, fügt der Regisseur die nächtliche Aufnahme der Außenfassade eines Krankenhauses hinzu, die sich in den Eindruck des Stücks einfügt. Lambys Gespür dafür, wie man die Geschichte von Musikern erzählt und die richtigen Bilder dafür findet, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass er früher selbst Musiker war. Anfang der 1980er-Jahre nahm er mit der Hamburger New-Wave-Jazzrock-Band Kling Klong ein Album auf.
„Ich könnte in Rente gehen, ich krieg bloß keine Rente“, sagt Joachim Kühn, der in Paris und auf Ibiza lebt, was in seinem Fall kokett klingt. Dass sie unermüdlich weitermachen, steht sowohl seinem Bruder als auch ihm gut zu Gesicht. Was sich nicht für alle hochbetagten Musiker sagen lässt.