Dokumentarfilm | Deutschland 1993 | 90 Minuten

Regie: Andres Veiel

Dokumentarfilm über drei Schauspieler des israelischen Theaterzentrums Akko, Vertreter einer jungen Generation, die immer noch unter dem (Ein-)Druck der nationalsozialistischen Massenmorde leidet. Einerseits wird ihr Theaterstück über die NS-Verfolgung und deren Folgen dokumentiert: heftige, aggressive Szenen zwischen Blasphemie und Provokation. Andererseits porträtiert der Film mit großer Intensität den Zwiespalt ihrer Empfindungen und Gedanken. Ein wichtiges, herausforderndes, von bitteren Eindrücken geprägtes Zeugnis tiefer Ratlosigkeit in einem zerrissenen Land. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Journal Film/ZDF
Regie
Andres Veiel
Buch
Andres Veiel
Kamera
Hans Rombach
Schnitt
Bernd Euscher
Darsteller
Madi Smadar Maayan · Klaled Abu Ali · Moni Yosef
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Dokumentarfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Szenen aus einem Land voller Brechungen und Brüche, Beobachtungen von Menschen mit all ihren Widersprüchen, in all ihrer Zerrissenheit, die vor allem daraus resultiert, daß die porträtierten Gestalten im Widerspruch stehen zu überlieferten Ansichten, daß sie nicht zuletzt Tabus zu brechen versuchen. Und sie stehen, die Schauspieler vom Theaterzentrum im israelischen Akko, in der Tat außerhalb konventioneller, streng gehüteter Überlieferung; sie stehen vor allem aber auch im Kontrast zu ihren eigenen Landsleuten, seien es nun Israelis oder Araber. Andres Veiel, der 1959 in Stuttgart geborene Regisseur, der von Hause aus Psychologe ist (und in Berlin unter anderem bei Krzysztof Kieslowski eine Regie- und Dramaturgieausbildung absolvierte), versucht, ein weithin unbekanntes Israel "hier und heute" zu porträtieren, wobei es ihm vornehmlich um jene zweite Generation geht, die den Holocaust selbst nicht mehr erlebt hat, aber immer noch unter dem Druck und dem Eindruck der national- sozialistischen Massenmorde an jüdischen Menschen leidet, die aber - und dies ist einer der unlösbaren Widersprüche - an der Überhöhung des Holocaust zu tragen hat. Sie nennt ihn in ihrer polemischen Aggressivität eine neue Religion, Opium für Israel, bezeichnet ihn als Leim, der das ganze Land zusammenhält. Und sie reibt sich, so ganz nebenbei, aber zugleich auch unüberhörbar, an einem übersteigerten Nationalismus in Israel.

Andres Veiel hat sich bei seiner Dokumentation drei Protagonisten des Theaterzentrums Akko vor die Kamera geholt, hat sie im Gespräch und in ihrem Alltag beobachtet und immer wieder, gleichsam kontrapunktisch, Szenen aus ihrem Stück "Arbeit macht frei vom Toidtland Europa" eingeblendet, einem Stück im übrigen, mit dem die Truppe 1992 in Berlin und 1993 in Hamburg erfolgreich gastiert hat. Diese Szenen - sie spielen in einem fiktiven KZ-Lager unter äußerst niedriger Balkendecke inmitten des Publikums - werden dem Zuschauer gleichsam um die Ohren geschlagen. Zunächst aber der Gang durch ein israelisches Ghettokämpfer-Museum, bei dem die kluge und wandlungsreiche Madi Smadat Maayan mit subversiven Texten als Kustodin fungiert, die ganz beiläufig kritische Wahrheiten serviert und ein still beobachtendes Publikum vermutlich nicht weniger schockiert als es die folgenden Szenen auf der Bühne mit KZ-Charakter tun: schrille Episoden mit einem nackten Flagelanten, mit einer Frau, die, vom Hunger gequält, an Gitterzäunen hängt, von Todesangst gepeinigt - die NS-Verfolgung der Juden und ihre Folgen bis heute, bis hin zur israelisch-arabischen Konfrontation darstellend. Dazwischen stille, nicht minder aggressive Episoden von kabarettistischer Hintergründigkeit, in denen die Protagonistin ihre Begeisterung für die melodische Raffinesse etwa des Horst-Wessel-Liedes verrät, sich sogleich Gedanken macht über den jungen, blonden SA-Mann Horst Wessel, der als Kind wohl "Alle meine Entchen" gesungen haben mag. Brüche ohne Ende all dies, Blasphemie und Provokation, irreale Schaubühne und hilfloser Schrei in einem.

Und dazwischen immer wieder die Begegnungen mit den Akteuren, mit dem strenggläubigen Moni Yosef etwa, der im Zwiespalt steht zwischen seiner Religion und dem von orthodoxen Juden nicht gern gesehenen Theaterspiel, der friedfertig für den Verzicht auf die Golanhöhen eintritt und nach dem Besuch bei seinem Bruder auf dem Golan doch wieder in Zweifel gerät. Oder eine Begegnung mit dem Palästinenser Khaled Abu Ali, der in seinem Heimatdorf es nicht wagt, mit seinen Verwandten über seine Tätigkeit an einem israelischen Theater (er ist unter anderem der nackte Flagelant) zu sprechen. Auch er im Zwiespalt der Gedanken und Gefühle: Er ist für Versöhnung zwischen Juden und Arabern, was keiner in seinem Palästinenserdorf verstehen kann, muß jedoch die Brüchigkeit aller Friedenswünsche erkennen, als er erfährt, daß in seiner Heimat Häuser und Menschen von israelischen Soldaten ziellos beschossen wurden. Vor allem aber steht Madi Smadar Maayan, die Frau des Autors und Regisseurs David Maayan am Theaterzentrum Akko und wohl auch die intellektuelle Kraft dieses Hauses, im Mittelpunkt der Gespräche; auch sie im Zwiespalt der Empfindungen, zwischen Einsicht und Verzweiflung.

Andres Veiel hat mit nahezu ununterbrochener Intensität die drei Schauspieler beobachtet und mit ihrem Porträt zugleich das Bild eines zerrissenen Landes abgeliefert. Da wird Siegeszuversicht und kraftvolle Selbstdarstellung entlarvt, da bleibt am Ende ein qualvolles (und keineswegs ein lustvolles) Leiden an sich selbst. Was bleibt, ist eine schonungslose Attacke israelischer Intellektueller auf eine Gesellschaft, die "nie nachdenkt", nicht (allen Beteuerungen zum Trotz) nachdenkt über ihre Vergangenheit und nicht nachdenkt über ihre Gegenwart. Das mag parteiisch sein, der Blick jedenfalls ist unerbittlich. Eine Antwort vermögen weder die israelischen Akteure noch deren deutscher Dokumentarist zu geben. So bleiben bittere Bilder, Bruchstücke einer großen Verwirrung, einer tiefen Ratlosigkeit, Dokumente eines unlösbaren Chaos, was dem Begriff des hebräischen Wortes "Balagan" entsprechen dürfte.
Kommentar verfassen

Kommentieren