Dokumentarfilm, der Interviews mit zehn Einwohnern Sarajevos mit Beobachtungen in der zerstörten Stadt verbindet und die erschreckenden seelischen Verletzungen der Menschen in diesem Kriegsgebiet deutlich macht. Die fließenden Grenzen zwischen Tätern und Opfern werden differenziert ausgeleuchtet. Der Film kommt dem Lebensgefühl der Menschen nahe und zeigt in seinem verlangsamten Rhythmus die psychischen Auswirkungen des Krieges.
- Sehenswert ab 16.
Wundbrand - Sarajevo, 17 Tage im August
Dokumentarfilm | Deutschland 1994 | 79 Minuten
Regie: Didi Danquart
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1994
- Produktionsfirma
- Factory 2/arte
- Regie
- Didi Danquart · Johann Feindt
- Buch
- Didi Danquart · Johann Feindt
- Kamera
- Johann Feindt
- Musik
- Cornelius Schwehr
- Länge
- 79 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Menschen hasten an einer Kamera vorbei. Das dutzendfache Klicken der Auslöser von Fotoapparaten klingt wie Trommelfeuer. Die Kamera folgt einer Frau, die ein Holzbündel auf dem Rücken trägt, das beinahe so groß ist wie ein Kreuz. Der Blick öffnet sich auf eine Wohnsiedlung aus Beton. Aus der Entfernung schallt Kanonendonner herüber. Auf einer Brücke macht die Frau mit dem Holzbünde] eine kurze Rast. Dieser Dokumentarfilm über Sarajevo beginnt mit einer sehr langen Einstellung. Sie gibt so den Rhythmus vor für die Erkundung einer Welt, in der das Zeitgefühl zusammengebrochen ist. Sarajevo im August 1993, das ist eine Stadt im Vernichtungskrieg und zugleich die meistfotografierte Stadt Europas. Die Bilder vom Krieg werden zur Ware und sind doch oft die einzige Hoffnung der eingeschlossenen Menschen. All dies schwingt in der ersten Einstellung, dieser langen Plansequenz schon mit, die gegen das punktuelle Klicken der Kameras die Dauer eines Blickes setzt, der das Leben der Menschen hinter den Bildern begreifbar machen will.Danquart und Feindt interviewen zehn Menschen, die in Sarajevo leben. Es sind lange, eindringliche Gespräche darüber, wie der Krieg das Leben der Männer und Frauen, der Kinder und Greise verändert hat. Durch diese Gespräche kommt der Film nicht nur ohne Kommentar aus. Er entfaltet gerade hieraus seine Intensität und entkräftet alle Einwände. die in jüngster Zeit gegen den kommentarlosen Dokumentarfilm erhoben worden sind. Keiner der Interviewpartner erhält die Gelegenheit, sich in Pose zu setzen, auch nicht der zuletzt interviewte serbische Kriegsverbrecher Borislaw Herac, der die Vergewaltigung und Ermordung von acht Frauen zugegeben hat. Zur Selbstinszenierung wären diese Menschen, die Opfer wie die Täter, auch gar nicht fähig. Denn sie sind allesamt traumatisiert durch das, was sie gesehen, miterlebt und zum Teil selbst getan haben. Das ist eine erste (und vielleicht die wichtigste Einsicht), die Danquart und Feindt vermitteln. Sie arbeiten aber auch mit Hilfe einer auf Intervalle Wert legenden Montagestruktur die Unterschiede zwischen den Menschen, mit denen sie gesprochen haben, heraus. Da ist der 19jährige Wanja, der nicht darüber hinwegkommt, aus Versehen eine alte Frau erschossen zu haben. Da ist eine Frau Anfang zwanzig, für die es eine Frage der Würde ist, ihren Körper auch in Kriegszeiten weiter zu pflegen. Und da ist der Kommandant, der auch nicht versteht, warum dieser Krieg geführt wird ("Es gibt Land und Territorium für alle"), der aber zugibt, daß er leicht zum Amokläufer werden könnte, wenn seinen Kindern und seiner Frau etwas passieren würde.Erstaunlich ist der durchweg hohe Grad der Selbstreflexion dieser Menschen. Es sind nachdenkliche Menschen - denn zum Nachdenken haben sie viel Zeit. Und es sind Menschen, die sich dagegen aufbäumen, von ihren Wunden, den inneren wie den äußeren, aufgefressen zu werden. "Wundbrand" - selten war ein Filmtitel so angebracht wie dieser. Die Menschen von Sarajevo sind nicht resigniert. Sie haben noch Wünsche ans Leben, wie der 15jährige Soldat, der seine besten Freunde verloren hat. Er würde nach dem Krieg gerne in England leben. Die Filmemacher zeigen durch ihre Hartnäckigkeit und ihre Nachfragen aber auch, wie unrealistisch diese Wünsche notgedrungen sein müssen. Auf die Frage, warum er gerade nach England gehen möchte, antwortet der Junge, die Menschen in England seien gut, das gefiele ihm.Den Verzicht auf einen kommentarlosen Dokumentartfilmen unterstellten Absolutheitsanspruch macht "Wundbrand" bereits in seinem Untertitel deutlich: "17 Tage im August", das sind notwendigerweise nur fragmentarische Beobachtungen und Wahrnehmungen. Die Bilder aus Sarajevo, mit denen der Film sein Publikum konfrontiert, sind aber deswegen so irritierend, weil sie die Nachrichtenbilder, die alltäglich über die Bildschirme flimmern, hinterfragend ergänzen: Sarajevo, das kann nicht nur der wenige Minuten dauernde Korrespondentenbericht sein, aber ebensowenig die Pressekonferenzen der UNO, die von einem ruhigen Tag sprechen, wenn keine Granate auf dem Marktplatz einschlägt. Mit einer solchen UNPROFOR-Pressekonferenz endet bezeichnenderweise der in Schwarz-Weiß mit einer leichten Hi-8-Kamera gedrehte Film. Manche dieser Bilder aus Sarajevo wirken wie durch einen Schleier aufgenommen, viel unwirklicher als die Fernsehbilder. Aber gerade weil sie gestalteter, künstlerischer sind, sind sie auch viel näher am Lebensgefühl der Menschen dieser Stadt. "Wundbrand" hebt die Zeit für 80 Kinominuten auf. Der Film macht deutlich, daß in diesem Kriegsgebiet die Explosion der einzige, wahre Zeitmesser geworden ist, daß die Grausamkeit der Gewalt auch darin besteht, daß man immer auf sie warten muß - weil sie jederzeit unerwartet zuschlagen kann.
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