Was kostet die Welt
Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 95 Minuten
Regie: Bettina Borgfeld
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Filmtank
- Regie
- Bettina Borgfeld
- Buch
- Bettina Borgfeld
- Kamera
- Börres Weiffenbach · Bettina Borgfeld · Marcus Winterbauer
- Musik
- Daniel Sus · Peter Gabriel Byrne
- Schnitt
- Mechthild Barth · Franziska von Berlepsch
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- 16.05.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Engagierter und eindringlicher, wenn auch einseitig argumentierender Dokumentarfilm über das Schicksal der Kanalinsel Sark, die durch aggressive Landkäufe und andere Einflussversuche der milliardenschweren Brüder Barclay in die Abhängigkeit des Großkapitals geriet.
„Am Anfang war das Paradies“ – dieser Satz eröffnet die engagierte Dokumentation von Bettina Borgfeld („Raising Resistance“) und beschreibt zugleich die Fallhöhe des Konflikts, der im Folgenden gezeichnet werden soll. Sark, die viertgrößte und dünn besiedelte britische Insel im Ärmelkanal, war lange ein Überbleibsel des Feudalismus. Weder Teil des Vereinigten Königreichs noch eine Kronkolonie, sondern als Kronbesitzung direkt der britischen Krone unterstellt, begann die Demokratisierung dort erst mit den Wahlen von 2008. Ironischerweise ist diese Demokratisierung unmittelbarer Impuls der Versuche des Finanzkapitals in Gestalt der milliardenschweren Gebrüder Barclay, sich der Insel zu bemächtigen. War zuvor das Lehen die einzige Form des Landbesitzes auf der Insel, so stritten die Investoren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Verweis auf das Grundrecht auf Eigentum.
Borgfeld zeichnet die Insel zu Beginn ihres Films als eine vormoderne Idylle leicht verschrobener Briten mit wohlgenährten Schafen, bei der man vermutet, jeden Moment bögen hier Wallace und Gromit um die Ecke. Wobei es auf Sark keinen Privatverkehr und keine Straßenbeleuchtung gibt. Aus dem Dornröschenschlaf erwachte die – nach Borgfeld – glückliche und funktionstüchtige Gemeinschaft erst, als die Brüder Barclay 1993 das Lehen für die kleine Nachbarinsel Brecqhou erwarben und von nun an begannen, ihren Einfluss auf Sark mittels diverser Gerichtsverfahren und Investitionen auszuüben. Viele Dinge wie beispielsweise die überkommene Regelung der Erbfolge auf der Insel hielten den Maßstäben des 21. Jahrhunderts nicht stand und mussten geändert werden.
Die Barclays sicherten sich große Teile der Insel
Die so öffentlichkeitsscheuen wie klagefreudigen Barclays kauften die meisten der auf der Insel befindlichen Hotels auf und rüsteten sie zu Luxus-Resorts auf, betrieben Weinbau und kandidierten über Mittelsleute für das Insel-Parlament. Nach und nach sicherten sich die Milliardäre soviel Besitz auf der Insel, dass sie, als sie keinen Erfolg bei der Parlamentswahl hatten, das Inselleben gewissermaßen paralysieren konnten. Auch gründeten sie eine Inselzeitung, die dazu diente, das politische System auf der Insel und deren Exponenten durch Nazi-Vergleiche zu diskreditieren.
Kurzum: Binnen weniger Jahre gelang es den Barclays durch eine brisante Mischung von ökonomischer Stärke, politischer Cleverness und expliziter Asozialität Zwietracht zu säen und die über Jahrhunderte gewachsene und auf „Vertrauen“ basierende politische Kultur Sarks zu zerstören. Mit dem Damoklesschwert, jeden sich artikulierenden Widerstand mit kostspieligen Gerichtsverfahren zu überziehen, wurde letztlich sogar die Redefreiheit tangiert.
Da die Barclays als Gesprächspartner dem Film nicht zur Verfügung standen, bleibt deren Motivation Spekulation. Hatte es zunächst den Anschein, dass die Insel, von London wie Paris mit dem Helikopter erreichbar, in eine Art von Luxus-Resort für Milliardäre verwandelt werden sollte, so wurde durch diese Aktivität zunächst einmal der traditionell entschleunigte Tourismus der Insel beschädigt. Durch weitere Investitionen auf Sark – heute verfügen die Barclays etwa über ein Drittel des Bodens – wurde die Gemeinschaft erpressbar. Weil Sark nicht Monaco ist, schien das Konzept des Luxus-Tourismus gescheitert, doch der Film und seine Protagonisten suggerieren vielmehr, dass es wohl eher darum geht, ein Steuerparadies mitten in Europa zu schaffen.
Gierige Superreiche und käufliche Opfer
Der Film platziert an zentraler Stelle das Bild einer Klasse von gierigen Superreichen, die ohne „Contrat social“ rücksichtslos ihre Interessen verfolgen. Was deren Handeln in die Hände spielt, ist die Käuflichkeit ihrer „Opfer“. So einseitig „Was kostet die Welt“ auch Stellung bezieht – dass es bereits in den 1950er-Jahren auf der Insel Konflikte um Machtakkumulation, Demokratie und Transparenz gab, erwähnt der Film nicht –, so macht er doch klar, wie fragil und schutzlos eine funktionierende Gemeinschaft dem Einfluss des Kapitals entgegensteht. Wie heißt es einmal so schön resigniert: „Ohne Gemeinschaft ist die Insel nur ein Felsen.“
Einer Gruppe von Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich bei einem aussichtslosen Kampf erschöpfen, löst beim Zuschauer mehr aus als Melancholie. Dass sie diesen Aktivitäten schutzlos ausgeliefert sind, dass die Krone, der britische Staat oder die Justiz keinerlei Veranlassung sehen, hier zu intervenieren, überrascht zwar nicht, sollte aber vielleicht über moralische Empörung doch allmählich einmal politische Konsequenzen zeitigen. Zum Beispiel, wenn es demnächst mal wieder ans Wählen geht.