Vom Lokführer, der die Liebe suchte...

Tragikomödie | Deutschland 2018 | 90 Minuten

Regie: Veit Helmer

Ein verlorener Büstenhalter weckt in einem soeben pensionierten Lokführer ungeahnte Sehnsüchte. Wie der Prinz im „Aschenputtel“-Märchen sucht er fortan nach der Besitzerin des Wäschestücks in einem traumhaft überzeichneten, vormodernen Aserbaidschan. Der Verzicht auf Dialoge und ein außergewöhnliches Gespür für Raumwirkungen verleihen dem Film einen besonderen Flair und eine nostalgische Note. Dass die aberwitzige Suche nach der Besitzerin des BHs nicht zur Altherrenfantasie verkommt, ist vor allem den selbstbewussten Frauenfiguren zu verdanken, die dem Voyeurismus entgegenwirken. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Veit Helmer-Filmprod./NDR/SR/SWR
Regie
Veit Helmer
Buch
Veit Helmer
Kamera
Felix Leiberg
Musik
Cyril Morin
Schnitt
Felix Leiberg
Darsteller
Miki Manojlovic (Nurlan) · Chulpan Khamatova (Nesrin) · Denis Lavant (Kamal) · Maia Morgenstern (Fidan) · Paz Vega (Daria)
Länge
90 Minuten
Kinostart
07.03.2019
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
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Heimkino

Verleih DVD
375 Media (16:9, 2.35:1, DD2.0)
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Nostalgisch-verträumtes Märchen über einen pensionierten Eisenbahner, der in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku nach der Besitzerin eines Büstenhalters fahndet, der in ihm eine unstillbare Sehnsucht entfacht hat.

Diskussion

Kaum leuchtet das Signal rot, rennt der Junge los. Wild mit den Armen wedelnd läuft er über die Bahngleise, eine Trillerpfeife im Mund. Ein donnerndes Geräusch folgt ihm und wird stetig lauter. Schnell werden Tische auf den Gleisen zur Seite geräumt, auf denen eben noch Schach gespielt wurde; Kinder werden in Sicherheit gebracht, Wäschestücke hektisch abgehangen. Denn die Zugtrasse führt nicht etwa übers freie Feld, sondern mitten durch die engen Gassen eines Vororts von Baku.

So manches hat der Lokführer, der bald in den Ruhestand geht, im Laufe seiner Dienstjahre mit dem Zug schon unfreiwillig eingesammelt – und wenn möglich auch zurückgebracht, wie etwa das Bettlaken, das ihm kürzlich die Sicht versperrte. Doch dann findet er etwas, das er nicht so leicht zurückgeben kann und das in ihm große Sehnsüchte weckt: einen BH.

Ein mysteriöses Stück hellblauen Stoffs

Erst wenige Tage ist es her, seitdem der Lokführer bei einer Nachtfahrt durch ein erleuchtetes Fenster einen Blick auf eine Frau erhaschte, die genau diesen BH ausgezogen hat. Ein Augenblick, der den alleinstehenden Lokführer verzauberte. Geradezu zärtlich betrachtet und berührt er nun den mysteriösen hellblauen Büstenhalter mit den weißen Stickereien und weiß, dass er unbedingt die Frau finden muss, der diese Unterwäsche gehört.

„Vom Lokführer, der die Liebe suchte“ ist ein Märchen, eine „Aschenputtel“-Geschichte, nur ohne Schloss, ohne böse Stiefmutter oder blutende Füße. Wie der Prinz im Märchen macht der Lokführer sich auf die Suche, verlässt das abgelegene Bergdorf, in dem er lebt, und mietet sich in einem Hotel im Vorort der aserbaidschanischen Hauptstadt ein. Tür für Tür läuft er die Strecke ab, trifft auf die unterschiedlichsten Frauen – und legt ihnen den BH zur Anprobe vor.

Nicht erst im Zuge der #MeToo-Debatte wirkt die Geschichte eines alten Lokführers, der sich anhand eines BHs auf die Suche nach dessen Trägerin macht und sich – wenngleich ohne sexuelles Interesse – vorführen lässt, ob das Wäschestück passt, zunächst wie eine frivole Altherrenfantasie, die den Blick auf die Oberweite der Schauspielerinnen durch die Handlung geradezu forciert. Die selbstbewussten Frauen wiederum retten den Film vor dem Voyeurismus, da sie sich nicht auf die Rolle fremdbestimmter Objekte reduzieren lassen. Wittert die eine unseriöse Absichten und jagt den Lokführer kurzerhand davon, so würde eine andere alles darum geben, wenn ihr der BH passen würde und sie damit den Lokführer für sich gewinnen könnte. In anderen Häusern wiederum wird er ausgelacht – oder kann gerade noch rechtzeitig das Weite suchen, bevor er mit den Ehemännern aneinandergerät.

Ein Regisseur der Bilder, nicht der Worte

Schon seit seinen Kurzfilmen ist Veit Helmer ein Regisseur der Bilder und nicht der Worte. Das beschert auch seinem jüngsten Film einige markante Einstellungen, die keiner Erklärung bedürfen und liebenswert-skurril Wünsche und Gefühle ausdrücken. Und doch stößt das Konzept, auf Sprache zu verzichten, immer wieder an seine Grenzen. Wenn das wortlose „Hm“ der Darsteller in unterschiedlichen Tonlagen darüber hinwegtäuschen soll, dass hier dogmatisch versucht wird, Dialoge zu umgehen, dann wirkt dies eher verkrampft als leichtfüßig. Darüber hinaus zieht sich die Handlung in die Länge. Die Besuche bei den unterschiedlichen Frauen wirken allzu lang und teils redundant, so dass es dem Film zunehmend an Tempo verliert. In seiner Verdichtung und Reduzierung auf ausdrucksstarke Gesten funktioniert der Trailer zum Film mit seinem Humor viel besser.

Trotzdem brennen sich die Schauplätze des Films ein. Helmer hat ein Gespür dafür, Orte zu inszenieren und zu etwas Besonderem zu machen, auch wenn die Helmer-Welt mit dem echten Aserbaidschan nichts zu tun hat. Bewusst antimodern und nostalgisch verklärt sehen die Dörfer und Vororte sowie die Menschen aus, die in ihnen leben, was durch das anachronistische, in der Postproduktion künstlich hinzugefügte Bildrauschen, das an einen 35mm-Film erinnert, und die Farbgebung noch verstärkt wird. Bisweilen überlagert das Märchen sogar die Realität. Wie eine Drehbucherfindung sieht der massige Zug in den engen Gassen aus – obwohl dieser vor Ort in dem tatsächlich existierenden Vorort Shanghai in Baku gedreht wurde.

Mit dem schönen Ende wiederum, das in seiner Klarheit überrascht, weiß Helmer zu versöhnen. Nicht vom Suchen, sondern vom Finden erzählt sein Film. Und auf einmal geht er sehr zu Herzen.

 

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