Dokumentarfilm | Schweiz 2018 | 78 Minuten

Regie: Nicolas Wagnières

Dokumentarischer Essay über das „Hotel Jugoslavija“ in Belgrad, das Ende der 1960er-Jahre als Repräsentationsbau des sozialistischen Jugoslawiens entstand. Der Film protokolliert den Verfall des nach den Balkankriegen vorübergehend leerstehenden Baus und reflektiert vielschichtig und spannend Architektur-, Ideen- und persönliche Geschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HOTEL JUGOSLAVIJA
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
C-Side Prod.
Regie
Nicolas Wagnières
Buch
Nicolas Wagnières
Kamera
Denjis Jutzeler · Benoït Peverelli
Musik
Filippo Gonteri
Schnitt
Damian Plandolit
Länge
78 Minuten
Kinostart
21.02.2019
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarischer Essay über das „Hotel Jugoslavija“ in Belgrad, das Ende der 1960er-Jahre als Repräsentationsbau des sozialistischen Jugoslawiens entstand.

Diskussion

Dokumentarischer Essay über das „Hotel Jugoslavija“ in Belgrad, das Ende der 1960er-Jahre als Repräsentationsbau des sozialistischen Jugoslawien entstand.

Größer, höher, luxuriöser: Das Hotel Jugoslavija in Belgrad diente unterschiedlichen Machthabern und solchen, die es gerne geworden wären, als Ort der Repräsentation. Während das Land, in dem es steht, dreimal seinen Namen änderte, wechselte es ebenso oft den Besitzer. Immer sollte alles besser werden, doch meist geschah nur wenig, und wenn, dann nichts Gutes.

Der Schweizer Regisseur Nicolas Wagnières, mütterlicherseits jugoslawischen Ursprungs, hat über den gewaltigen Komplex einen Film gemacht, in dem sich die politische Geschichte, persönliche Erfahrung, Ideen- und Architekturgeschichte verbinden.

Der größte Kronleuchter der Welt

Die im Jahr 1969 eröffnete Anlage entstand im Stil der architektonischen Moderne am Rande der Trabantenstadt Neu-Belgrad. Das Bauwerk wurde am Ufer der Save-Mündung in die Donau repräsentativ vis-à-vis des historischen Zentrums von Belgrad errichtet. Alles war auf Superlative ausgelegt: das größte Hotel im Balkan-Raum, für das bei Swarovski der größte Kronleuchter der Welt bestellt wurde und dem der Staatspräsident Tito die passenden Gäste verschaffte.

Nach dem Sieg gegen die Nazis und der Loslösung von Stalins autoritärem Kurs befand sich das sozialistische Jugoslawien auf dem „Dritten Weg“; im Kalten Krieg wurde das Land Initiator und Motor der blockfreien Staaten. Die modernistische Repräsentationsarchitektur des „Hotel Jugoslavija“ bot den passenden Rahmen für Staatsmänner aus aller Welt. Verhalten in der Eleganz, aber doch Zeuge der Macht, symbolisierte es vom sachlichen Schwung der Freitreppe im Foyer bis zur hellen Eichenholztäfelung der Speisesäle den selbstbewussten Aufbruch in eine neue, bessere Zeit.

Spiegelbild des gesellschaftlichen Zerfalls

Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Nach Titos Tod zerfiel Jugoslawien in mehreren Akten der Selbstzerfleischung. Statt den Regierungschefs der Blockfreien residierten nun die Nationalisten aus der Region in dem Hotel, die nicht über Einheit und Brüderlichkeit, sondern über die Aufteilung des Landes diskutierten. In den 1990er-Jahren zogen die Unterhändler von UN und EU ein und aus, im Casino- und Poolbereich residierte irgendwann der Kriegsverbrecher Zeljko „Arkan“ Rasznatovic; 1999 wurde das Hotel Ziel der NATO-Bombardierungen. Inzwischen verstauben die Flaggen der Blockfreien im Hinterzimmer des Hausmeisters.

Wagnières ist von der modernen Architektur der Nachkriegszeit fasziniert, davon, wie sie die politischen Visionen eines im Vergleich zur Sowjetunion weniger autoritären Sozialismus hier abgebildet haben. Seine Mutter hat Jugoslawien früh verlassen; der Filmemacher wuchs in der Schweiz auf, fühlt sich aber immer noch als Kind dieses Landes. Seit 2005 besucht er regelmäßig Serbien und filmte in der Ruine des „Hotel Jugoslavija“; die Legenden, die sich um das Gebäude ranken, rechnete er mit seinen eigenen Jugoslawien-Mythen auf. Jahr für Jahr hält er den Zustand des verfallenden Bauwerks mit der Kamera fest, kommt immer wieder „hierher, wie auf einen Friedhof. Mit der Hoffnung, dass der Leichnam noch eine Geschichte zu erzählen hat.“

Zwei dieser Geschichten wurden im Kino als Spielfilme erzählt. 2013 entstand nach einem Skript von Luc Besson der Agententhriller „3 Days to Kill“. Vier Jahrzehnte davor diente das Hotel als Drehort für Jovan Jovanovićs Kultfilm „Young and healthy as a rose“ (1971), in dem ein zum Mafioso aufgestiegener Kleingangster mit Waffengewalt das Anwesen kapert, was gespenstisch hellseherisch die Besetzung Arkans und seiner skrupellosen Paramilitärs vorwegnahm.

Größe & Elend des Kapitalismus

Am Ende bleiben vor allem die Symbole im Kopf, während der mythische Ort in den Gesprächen mit ehemaligen Hausmeistern und Oberkellnern auf einen tristen Funktionsbau schrumpft. Schließlich waren die Machthaber und Machthungrigen, Visionäre und Zerstörer hier alle nur Gäste. Vorübergehende Bewohner einer faszinierenden Architektur, deren visionäre Weitläufigkeit mit dem Kleingeist und Gewinnstreben nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kontrastiert: Wagnières spricht von der „Größe und dem Elend eines Kapitalismus, der nichts zu verkaufen hat außer seiner eigenen Geschichte“.

Inzwischen ist die Geschichte ausverkauft. Das „Hotel Jugoslavija“ spendiert seinen Mitarbeitern keine Kollektivreisen mehr zu Partnerbetrieben an der Adria wie noch zu sozialistischen Zeiten. Ein betrügerischer Investor verkaufte Haus und Grund mit Millionengewinn, ohne auch nur einen müden Dinar ausgegeben zu haben. Dem letzten Hoteldirektor aus der Ära des Autokraten-Regimes von Slobodan Milošević geht es finanziell gut, aber er trauert der Atmosphäre von Aufschwung und Visionen in den 1960er- und 1970er-Jahren nach. So reflektiert der Film „Hotel Jugoslavija“ nicht nur Architekturgeschichte und persönliche Erfahrung, sondern ist zugleich auch ein Abgesang auf ein Stück Ideengeschichte. Schade ist nur, dass Wagnières mit seinem dokumentarischen Essay bereits im Jahr 2017 fertig wurde. Denn heute entsteht am anderen Save-Ufer das monströse Repräsentationsviertel „Belgrad am Wasser“. Just gegenüber vom „Hotel Jugoslavija“ ist ein 33-stöckiger Hotelturm mit zeitgeistig versetzter Glas- und Stahl-Architektur annonciert. Die Repräsentationsgeschichte geht weiter, vergesslich wie eh und je.

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