Der letzte Jolly Boy

Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 110 Minuten

Regie: Hans-Erich Viet

Der Dokumentarfilm begleitet den jüdischen Holocaust-Überlebenden Leon Schwarzbaum (Jahrgang 1921) über drei Jahre hinweg auf Reisen zu den Stätten seiner Vergangenheit. Schwarzbaum hat mehrere Konzentrationslager überlebt und sich erst im hohen Alter entschlossen, seine Erinnerungen nicht für sich zu behalten. Im Laufe des bewegenden Road Movies durch die deutsche Geschichte besucht er nicht nur sein Elternhaus in Polen, sondern tritt als Nebenkläger auch beim Auschwitz-Prozess 2016 in Detmold auf. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Viet Filmproduktion
Regie
Hans-Erich Viet
Buch
Hans-Erich Viet
Kamera
Thomas Keller
Schnitt
Nina Caspers
Länge
110 Minuten
Kinostart
31.01.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Bewegendes Road Movie, in dem der 1921 geborene Holocaust-Überlebende Leon Schwarzbaum die Stätten seiner Vergangenheit aufsucht und sich an die NS-Verbrechen erinnert.

Diskussion

Die „Jolly Boys“ muss man nicht kennen. Den jüdischen Schulfreunden, die sich in dem polnischen Städtchen Bedzin in den 1930er-Jahren zusammentaten, um amerikanischen Swing a cappella darzubieten, war keine Karriere vergönnt. Mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen fanden die musikalischen Ambitionen der Schüler ein jähes Ende.

Einer der „Jolly Boys“ war Leon Schwarzbaum, der später die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Buchenwald und Haselhorst überlebte, während alle anderen Mitglieder seiner Familie, mehr als 30 Personen, dem Holocaust zum Opfer fielen. Regisseur Hans-Erich Viet hat Schwarzbaum zu mehreren Reisen in dessen Vergangenheit motivieren können. Das brachte für den 1921 geborenen Mann nicht nur enorme körperliche Strapazen mit sich, sondern führte in der unmittelbaren Konfrontation mit den Orten des Schreckens auch zu schweren seelischen Erschütterungen.

Über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg

Der Film folgt den Reisen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren hinweg. Viet begleitet Schwarzbaum zu dessen Elternhaus und nach Auschwitz, ist aber auch bei Vorträgen in Schulen und im Jahr 2016 beim Auschwitz-Prozess in Detmold dabei, wo Schwarzbaum vor dem Landgericht gegen einen ehemaligen SS-Wachmann als Zeuge und Nebenkläger auftritt.

Vergleichbare Dokumentationen über Holocaust-Überlebende setzen häufig auf mündliche Berichte der Protagonisten, was ihnen eine gewisse Statik verleiht. Die Entscheidung, „Der letzte Jolly Boy“ als Road Movie zu inszenieren, und bei der Montage auch nicht der Chronologie zu folgen, sondern einzelne Reise-Momente gegeneinander zu schneiden, verleihen dem bewegenden Film eine sehr bewegte Gestalt.

Nicht minder umsichtig war der Entschluss, Schwarzbaum nicht an den bekannten Gedenkstätten des Holocaust über seine Erlebnisse berichten zu lassen. Zwar gibt der hellwache Senior in Auschwitz Besuchern, die durch das Kamerateam in seinem Gefolge auf ihn aufmerksam geworden sind, freundlich Auskunft, doch die meisten Gräueltaten kommen an unscheinbaren Orten zur Sprache. Etwa an einem trostlosen polnischen Bahnhof, wo damals die Züge in die Konzentrationslager abfuhren.

„Genau hier ist es passiert“

„Genau hier ist das passiert“, sagt Schwarzbaum auf einem mit Pfützen übersäten Weg und schildert, wie ein Gestapomann einem jungen Mädchen in den Kopf schoss. Der Kontrast zwischen den traumatischen Erlebnissen und der gegenwärtigen Banalität dieses Ortes, an dem keine Gedenktafel an die Gräueltaten erinnert, lässt das Erzählte noch unheimlicher erscheinen.

Es kommen aber auch Schwarzbaums Erfahrungen mit der deutschen (Medien-)Aktualität zu Wort. Etwa ein Auftritt in der Talkshow von Markus Lanz, bei der der Moderator kurz vor der Sendung in der Garderobe vorbeischaute, um Schwarzbaum seine Sympathie zu bekunden, seine Redeversuche in der Sendung dann aber mehrfach mit „Ich weiß, ich weiß“ abwürgte.

Kommentar verfassen

Kommentieren