Kler
Satire | Polen 2018 | 141 Minuten
Regie: Wojciech Smarzowski
Filmdaten
- Originaltitel
- KLER
- Produktionsland
- Polen
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Profil Film/Showmax/Moderator Inwestycje/Studio Metrage/Tovares/Atlas Sztuki/Kino Swiat
- Regie
- Wojciech Smarzowski
- Buch
- Wojciech Rzehak · Wojciech Smarzowski
- Kamera
- Tomasz Madejski
- Musik
- Mikolaj Trzaska
- Schnitt
- Pawel Laskowski
- Darsteller
- Arkadiusz Jakubik (Priester Andrzej Kukula) · Robert Wieckiewicz (Priester Tadeusz Trybus) · Jacek Braciak (Priester Leszek Lisowski) · Joanna Kulig (Hanka Tomala) · Janusz Gajos (Erzbischof Mordowicz)
- Länge
- 141 Minuten
- Kinostart
- 21.10.2018
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Satire
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Ein in Polen heftig diskutierter Spielfilm, der Missstände in der katholischen Kirche in Polen thematisiert und ihren Einfluss auf die Geselllschaft und die Verquickung mit der Politik kritisch in Frage stellt. Vor allem beeindruckt der Film durch seine klare Parteinahme für die Opfer sexuellen Missbrauchs.
Die ergreifendsten Momente in „Klerus“ entstehen aus zwei kurzen dokumentarischen Einschüben, in denen Missbrauchsopfer zu Wort kommen. Man sieht und spürt, wie schmerzhaft und tief erschütternd ihnen noch heute die Erinnerungen daran sind, wie sie als Kinder oder Jugendliche von Klerikern sexuell misshandelt wurden. Solche Opferzeugnisse schockieren; wir reagieren mit Empörung, Mitgefühl, Trauer und Zorn, der wächst, wenn man erfährt, dass die Kirche derartige Missbrauchsfälle bagatellisiert, ignoriert und vertuscht hat.
Eine der stärksten Szenen des Films erzählt von solcher zynischen Ignoranz. Da sind unter dem Vorsitz des Erzbischofs zahlreiche kirchliche Amtsträger im prächtigen Bischofspalast versammelt, um den Bericht eines Missbrauchsopfers anzuhören. Ohne irgendein Zeichen von Mitgefühl zu bekunden, attackieren sie den fassungslosen Mann mit dem Vorwurf, wie er es wagen könne, Karriere und Leben eines Priesters zu ruinieren, und drohen mit einer Verleumdungsklage.
Hier verdichtet sich die emotionale Energie, die den Film in jeder Faser durchpulst: "Kler" ("Klerus") ist ein Aufschrei der Empörung angesichts klerikalen Machtmissbrauchs.
- Weitere Artikel um Religion & Film
- Filmkritik: "Die unbarmherzigen Schwestern"(Großbritannien/Irland 2002)
- Filmkritik: "Spotlight" (USA 2015)
Regisseur Wojciech Smarzowski hat bei der Entwicklung des Projekts mit Missbrauchsopfern und deren vor fünf Jahren gegründeter Organisation „Fürchtet Euch nicht“ zusammengearbeitet; er geht aber über das Missbrauchsthema hinaus, attackiert den Machtmissbrauch in der katholischen Kirche Polens in verschiedenster Hinsicht. Er zeigt Korruption, zwielichtige Geschäftemacherei, mafiöse Strukturen. In Form eines drastisch-realistischen und satirisch zugespitzten Dramas bringt er all dies packend zur Anschauung.
Als „Klerus“ Ende September 2018 in die polnischen Kinos kam, verdrängte er sogleich „Fifty Shades of Grey“ aus der Spitzenposition und verzeichnete in den ersten drei Tagen eine Million Zuschauer.
Der Film trifft einen Zentralnerv des gesellschaftlichen Lebens in Polen
„Klerus“ trifft einen Zentralnerv des gesellschaftlichen Lebens in Polen; er spricht mit Wucht und Direktheit Dinge an, von denen jeder irgendwie weiß, deren öffentliche Darstellung aber einem Sakrileg gleichkommt. Die katholische Kirche Polens, zu der sich über 90 Prozent der Bevölkerung bekennen, hat noch immer volkskirchlichen Status und gilt als wesentliche Instanz nationaler Identität, auch wenn Soziologen einen Erosionsprozess bei der polnischen Jugend feststellen.
Mit dem Kinostart von "Kler" entbrannte sogleich der gesellschaftliche Streit lichterloh. Es gab auch kirchliche Stimmen, die den Film lobten und ihn als Anstoß zu notwendiger Selbstbesinnung und Gewissenserforschung begrüßten. Im journalistischen Umfeld der regierenden nationalkonservativen, mit der Kirche eng verbandelten Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wurde „Smarzowskis übles Machwerk“ indes heftigst kritisiert.
Es handelt sich nicht um "pathologische Einzelfälle"
Der Hauptvorwurf lautete, dass Smarzowski „pathologische Einzelfälle“ für einen diffamierenden Totalangriff gegen die Kirche missbrauche. Dieser Vorwurf weckt Erinnerungen daran, wie vor etwa 20 Jahren in westlichen Ländern auf die ersten Berichte von sexuellen Übergriffen in der katholischen Kirche reagiert wurde. Das seien doch nur bedauerliche Einzelfälle, hieß es damals. Inzwischen haben Ermittlungen in den USA, Irland, Australien oder Deutschland ein anderes, schockierendes Bild ergeben. Der im August 2018 veröffentlichte Untersuchungsbericht der Grand Jury Pennsylvanias drückt es so aus: „Früher schon gab es Berichte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche…für viele von uns spielten sich diese Geschichten aber an einem entfernten Ort ab, irgendwo, anderswo, jetzt wissen wir die Wahrheit: es geschah überall!“
Erzählerisch fädelt „Kler“ die Schicksalslinien von drei befreundeten Priestern auf. Lisowski (Jacek Braciak) gehört zur Entourage des Erzbischofs, agiert als Fachmann für obskure Geldbeschaffungen, Deals und Intrigen. Kukula (Arkadiusz Jakubik), Priester in einer Kleinstadt, gerät in den Verdacht, pädophil zu sein, ringt selbst aber mit der Last einer traumatischen Kindheitsgeschichte als Missbrauchsopfer. Der dritte, Trybus (Robert Więckiewicz), Dorfpfarrer und Alkoholiker, kommt mit dem zölibatären Leben gar nicht klar. Er hat eine Freundin, die ihm eröffnet, schwanger zu sein. Er fragt: „Hast du dich denn nicht um Verhütungsmaßnahmen gekümmert?“ Worauf sie spöttisch lächelnd antwortet: „Natürlich nicht, denn als gute Katholikin halte ich mich ja ans kirchliche Verhütungsverbot!“
Wider den klerikalen Autoritätsdünkel
Es soll bei dieser Beschreibung nicht der Eindruck entstehen, als seien die drei Priester zu haltlosen, heuchlerischen, bigotten Schreckgestalten. Smarzowski zeichnet sie nicht verächtlich oder monströs, sondern hemdsärmelig und einfühlsam mit menschlich-allzumenschlicher Kontur. Kukula und Trybus dürfen sich im Verlauf des Geschehens als äußerst sympathische und aufrichtige Charaktere erweisen.
Die Figuren in den höheren Rängen der kirchlichen Hierarchie präsentiert der Film allerdings mit satirischem Elan als Vertreter klerikalen Autoritätsdünkels. Sie werden als Repräsentanten jenes „Klerikalismus“ gezeichnet, den Papst Franziskus jüngst bei mehreren Gelegenheiten beklagt und scharf kritisiert hat.
„Klerikalismus“ bezeichnet eine Kleriker-Mentalität, die nur selbstbezüglich auf den eigenen Vorteil und Rang bedacht ist, die sich mit dem Bau protziger Sakralbauten zur Geltung bringen will und jede Art von Machtmissbrauch in der Kirche begünstigt und deckt. Es gibt aber auch einen „Klerikalismus von unten“, eine Mentalität der Gläubigen, die Kleriker verklären und sie „eher wie Heilige betrachten, anstatt sie als Menschen zu sehen“. Diese Art von Kleriker-Verklärung will der Film nachhaltig erschüttern – und das gelingt ihm mühelos. Seine stärkste Überzeugungskraft aber gewinnt der Film durch die Entschiedenheit, mit der er für die Opfer sexuellen Missbrauchs Partei ergreift.
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In 3sat/ZDF-Kulturzeit vom 11.10.2018
In ARD-Tagesthemen vom 21.10.2018
zum Missbrauchsthema:
ARD-Dokumentation „Meine Täter, die Priester“ (ausgestrahlt 15.10.2018)
ARD-Talkrunde Maischberger „Missbrauch in der katholischen Kirche“ (26.09.2018)
Literaturhinweise:
- Eugen Drewermann: „Kleriker“, Walter-Verlag Olten/Freiburg 1989
- Peter Eicher, Hrsg.: „Der Klerikerstreit“, Kösel, München 1990
- Wunibald Müller: „Verschwiegene Wunden“, Kösel, München 2010
- Michael Albus / Ludwig Brüggemann, Hrsg.: „Hände weg! – Sexuelle Gewalt in der Kirche“, Butzon&Bercker, Kevelaer, 2011
- Alexander J. Probst: „Von der Kirche missbraucht“, Riva-Verlag, München 2017