Das Klassentreffen kommt zu keinem guten Zeitpunkt. Janne ist alles andere als begeistert davon, frühere Schulkameraden wiederzusehen. Schließlich werden dabei zwangsweise Lebensbilanzen verglichen, und ihre eigene fällt recht ernüchternd aus: Mit ihrem Freund Piet hat die Endzwanzigerin in München einen kleinen Verlag geführt, gegen den gerade ein Insolvenzverfahren eingeleitet wurde. Noch unausgesprochen steht die Beziehung zu ihrem Partner ebenfalls auf dem Prüfstand, für ihre Zukunft gibt es noch keinen neuen Plan.
Trotzdem lässt sich Janne auf die Party ein und hat dabei weit mehr Spaß als erwartet. Zwischen Bar und Tanzfläche macht sie die Bekanntschaft von Martin, einem großen, sympathisch wirkenden Brillenträger, mit dem sie sich sofort versteht. Gemeinsam reden, lachen und trinken sie und brechen schließlich zusammen auf. Der Einfachheit halber will Janne ihn bei sich zuhause schlafen lassen, albert auf dem Weg und am Haus angekommen noch weiter mit Martin herum, lässt sich auch noch auf einen Kuss ein. Zu spät merkt sie, dass die Zeit der Scherze für den Mann vorbei ist. Auf eine unbedachte Bemerkung hin wird er zudringlich, nach einem Gerangel stürzt Janne auf den Boden, wo Martin sich ihr aufzwingt und sie vergewaltigt.
Die Protagonistin wird nicht zur glatten Sympathiefigur
Die gewaltsame Tat entwickelt sich in „Alles ist gut“ unvermutet, aber aus klug miteinander verknüpften Details in Dialogen und Körpersprache der Darsteller Aenne Schwarz und Hans Löw heraus. Der Moment der Grenzüberschreitung wirkt auf diese Weise authentisch, ohne dadurch begreifbarer zu werden. Die Vergewaltigung selbst ist kurz und hässlich. Jannes unmittelbare Reaktion lässt neben dem Schrecken fast auch Belustigung erkennen, als wundere sie sich, dass Martin nach einem so gewaltvollen Vorspiel so eine klägliche Vorstellung geboten habe.
Doch ist dies in dem außergewöhnlich vielschichtigen Debütfilm von Eva Trobisch nur der Auftakt für eine fundierte Einlassung auf die komplizierte, widersprüchliche Gefühlslage, in der sich die Protagonistin nach dem sexuellen Übergriff befindet. Durchaus gegen ihren Willen, denn Janne würde am liebsten weiterleben, ohne das Geschehene vor irgendjemand zu erwähnen. Auf Fragen nach dem Klassentreffen reagiert sie ausweichend, ihrer Mutter deutet sie lediglich unerfreuliche Avancen eines Mannes an und reagiert gereizt, als diese nachhakt; die Blutergüsse um ihr Auge erklärt sie mit einer Möbelkante.
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Früh wird klar, dass sich „Alles ist gut“ nicht in die Richtung von Dramen wie „Angeklagt“ oder „Der Brand“ entwickeln wird, in denen die Vergewaltigungsopfer sich dazu durchringen, den oder die Täter vor Gericht zu bringen. Eva Trobisch und die faszinierend vielseitige Aenne Schwarz haben den Mut, Janne als Charakter zu zeigen, der durchaus auch Rätsel im Verhalten aufgibt und nicht zur glatten Sympathiefigur wird.
Durch die Verunsicherung verstärkt sich ihr trotziger Behauptungswillen, der sie ohnehin prägt: Ihr Frust entlädt sich zunächst vor allem an ihrem nichtsahnenden Partner und dessen Weigerung, das Scheitern des Verlags anzuerkennen, wobei er auch vor rabiaten Kurzschlussaktionen nicht Halt macht. Ohne Rücksprache mit ihm nimmt sie das Angebot eines väterlichen Freundes an, in seinem Großverlag als Lektorin zu arbeiten, besucht diesen auch in seinem Haus und staunt, wie er sich von seiner schnippischen jüngeren Frau behandeln lässt.
Keine stereotypen Opfer- und Täter-Profile
Dann aber wird Janne in ihrem vorgeblichen Gleichmut erschüttert, als sie ihrem Vergewaltiger wiederbegegnet. Martin arbeitet nicht nur im selben Büro wie sie, er ist zudem der Schwager ihres Chefs. Die Aussicht auf tagtäglichen Kontakt gestaltet sich für Martin allerdings ebenfalls belastend. Der von seiner Tat sichtlich Beschämte sucht immer wieder die Nähe von Janne, möchte von ihr wissen, wie er sich verhalten soll, und schwört, dass er sich jeder Entscheidung von ihr beugen will.
Der Umgang der beiden miteinander gehorcht keinen vorsehbaren Dramaturgie-Regeln oder stereotypen Opfer- und Täter-Profilen, stattdessen gesteht Eva Trobisch beiden Protagonisten weiterhin konsequent ihre Ambiguität zu. Ein gutes Gespür für Nuancen, insbesondere in den sorgfältig geschriebenen Dialogen, bewirkt, dass Jannes wie Martins Verhalten stets nachvollziehbar bleiben, während auch die Nebenfiguren mit subtil angedeuteten individuellen Eigenheiten herausgearbeitet sind.
Überraschende, gut dosierte Momente des Humors fügen sich nahtlos in die Handlung ein, die sich zusehends um die Verdrängungsmechanismen dreht, mit denen Janne ihre Vergewaltigung auch vor sich selbst kleinreden möchte, während sich der Konflikt zwischen äußerer Fassade und innerer Aufwühlung zuspitzt. Jannes Selbstbild ist das einer modernen, autonomen Frau, die mit Schwierigkeiten alleine fertig wird und sich darüber auch definiert.
Diese Vorstellung erhält aber schon bald Brüche, als Janne begreift, dass es ihr nicht gestattet sein wird, die körperlichen Folgen des Übergriffs mit sich allein auszumachen; ganz zu schweigen von ihren psychischen Wunden. Die realistische, unaufdringliche Inszenierung lässt ihre verwirrte Gefühlsgemengelage dafür umso klarer aufscheinen und widersteht jeder Versuchung einer einfachen Lösung. „Alles ist gut“ könnte damit von einem platten Themenfilm kaum weiter entfernt sein: Ohne seelische Narben kommt hier keiner davon.