Als im Herbst 2015 die ersten Bilder der Flüchtlingsströme nach Europa durch die Medien gingen, beschloss eine Gruppe junger Menschen, nicht nur zuzusehen, sondern zu handeln. Sie gründeten in Berlin die Initiative „Jugend rettet“, im Bewusstsein, dass der Weg über das Mittelmeer unzählige Todesopfer fordern wird, die in den Berichterstattungen zunehmend zu bloßen Zahlen verblassen.
Noch vor jeder Debatte über den Verbleib der Geflüchteten oder die weiteren politischen Konsequenzen steht eine starke Überzeugung: Wenn sich ein Mensch in Seenot befindet, muss alles getan werden, um ihn zu retten. Das ist ein Menschenrecht.
Via Crowdfunding finanzierte die Initiative ein kleines Schiff, dem sie den schönen Namen „Iuventa“ gab – „Jugend“. In ihm spiegeln sich Hoffnung, Kraft und Leichtigkeit – Eigenschaften, die schon bald von den harten Realitäten herausgefordert werden.
Der Regisseur Michele Cinque ist nur unwesentlich älter als die Protagonisten von „Jugend rettet“. Seine Faszination für das Engagement der jungen NGOler überträgt sich durch seine nahe, persönliche Inszenierungsweise. Es ist ein unwiderstehlicher Gedanke der Hoffnung, dass junge Menschen, die gerade die Schule oder ihre Ausbildung beendet haben, sich dafür entscheiden, etwas zu tun, das so schlicht und menschlich ist: ihre Kraft und ihre Zeit zu investieren, um Leben zu retten, das unmittelbar vom Tod bedroht ist.
Was eigentlich eine ethische Selbstverständlichkeit ist, dient hier zugleich auch als symbolischer Akt, um die europäischen Regierungen für die Dringlichkeit des Problems zu sensibilisieren und zu zeigen, worum es wirklich geht: nämlich Menschenleben zu retten.
Doch die Regierungen setzen zunehmend auf Abschottung und beschlagnahmen das Schiff.
Die Inszenierung lässt an der Aufbruchsstimmung der Gruppe teilhaben, an ihrem Idealismus, aber auch an der verblüffenden Erkenntnis, dass man etwas bewegen kann, wenn man Menschen und Kompetenzen zusammenbringt. Unter den 20-Jährigen finden sich nautisch und medizinisch Erfahrene, die in der Lage sind, ein über 30 Meter langes Schiff zu steuern. In Berlin arbeitet sich ein anderer Teil der Gruppe in die politische Gesetzeslage ein, um ihr Anliegen zu formulieren und publik zu machen.
Man wird aber auch Zeuge dessen, was als das Unvorstellbare der Krise erscheint und mit dem man medial nur selten direkt konfrontiert wird, etwa durch die Fotos des toten Aylan Kurdi am Strand von Izmir.
Die Schiffscrew trifft auf andere junge Menschen, deren Lebensperspektive von existenziellen Bedrohungen bestimmt ist, was ihr Selbstverständnis radikal in Frage stellt. Die Helfer werden mit dem Tod konfrontiert, auch wenn die „Iuventa“ schon in den ersten zwei Wochen 2000 Menschen das Leben rettet. Wer sich mit solcher Offenheit einem solchen Perspektivwechsel stellt, hinterfragt zwangsläufig seine bisherige Existenz.
Die Inszenierung interpretiert diese Erschütterungen als ein Erwachsenwerden, das sich nicht in die bittere Logik der Regierenden eingliedern lassen will. Die Erkenntnis, wie drastisch die politische Situation in den an Europa angrenzenden Ländern mitunter wirklich ist, führt bei den Aktivisten aber nicht zu Resignation oder Abwehr, sondern bestärkt sie in der Notwendigkeit einer gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung. Denn die Debatte um Flucht und Migration ist auf beiden Seiten mit Angstfantasien und einfachen Lösungen aufgeladen. Ein Film wie „Iuventa“ leistet einen wichtigen Beitrag, die Situation neu sehen zu lernen. Viele Europäer, die irrationale Ängste vor einer „Überflutung“ haben, würden nach einer Auseinandersetzung mit den hier gezeigten Geschichten der Geflüchteten vielleicht ihre Meinung ändern, wie umgekehrt auch viele Geflüchtete zunehmend erkennen, dass sie Europa mit unrealistischen Hoffnungen aufgeladen haben.
Vielleicht gelingt dem Film, was den jungen Aktivisten von „Jugend rettet“ (bislang) schmerzhaft versagt geblieben ist: den politischen Handlungsträgern, aber auch der Gesellschaft ein umfangreicheres Bild der Situation rund ums Mittelmeer zu vermitteln. Denn nur ein Bewusstsein, das sowohl die Vielschichtigkeit der Perspektiven wie auch die unmittelbare Gefährdung des Lebens in den Blick bekommt, wird letztlich etwas verändern können.