Am Anfang steht der Blick auf eine kleine US-amerikanische Kirche, ein Gotteshaus der titelgebenden „First Reformed“-Kongregation in Snowbridge, einem fiktiven Ort in Albany County im US-Staat New York. Die Kamera hält die Kirche lange Zeit im Bild fest, wie ein Symbol der Standhaftigkeit, hell und proper, von der Zeit unangetastet. Gegen Ende des Films sieht man dieselbe Einstellung noch einmal, diesmal aber düster, wie von dichter Nacht umhüllt.
Die Gemeinde der kleinen Kirche besteht nur noch aus wenigen Seelen. In Albany County betet man nicht mehr in überschaubaren Kirchen; man betet in modernen Megabauten wie der Kirche gleich nahebei, die für 5.000 Gläubige Platz bietet und für die auch ein reicher Industrieller aus der Gegend Geld spendet. Hat sich Gott gemein gemacht mit den Wohlhabenden und Mächtigen? Ist das Kirchlein von 1767, das kurz vor seinem Jubiläum steht, zum „Andenkenladen“ verkommen, wie der Pfarrer der First-Reformed-Kongregation, Reverend Toller, achselzuckend sagt?
Toller war einst Kaplan bei der US-Army. Er war verheiratet und hatte einen Sohn. Der Sohn ging auf den Rat des Vaters hin zum Militär und wurde im Irak getötet. Tollers Ehe scheiterte. Nun liest er sonntags vor fünf oder sechs Gläubigen aus der Bibel und schreibt seine Gedanken, allein mit einer Flasche Whisky, in eine Kladde, die nur für ihn bestimmt ist, und das auch nur für ein Jahr. Danach soll die Kladde vernichtet werden.
Auch der Regisseur Paul Schrader, dessen Name als Autor mit Filmen wie „Taxi Driver“
(fd 19 983) und „Die letzte Versuchung Christi“
(fd 27 169) verknüpft ist, hat seine Gedanken über Gott, die Welt und ein paar Filmemacher, die ihn auf ganz besondere Weise beeinflusst haben, einst in einem Buch niedergeschrieben. Schrader war damals Mitte Zwanzig; sein (in den USA gerade neu aufgelegtes) Buch heißt „Transcendental Style in Film“. Es beschäftigt sich hauptsächlich mit Robert Bresson, Yasujiro Ozu und Carl Theodor Dreyer. „First Reformed“ schuldet diesen drei Regisseuren viel. Mit gutem Recht könnte man noch Ingmar Bergman hinzufügen. Der Film verdankt ihnen die asketische Konzentration auf eine Person, auf ein Thema und deren transzendente Bezüge.
Mary, eines der wenigen verbliebenen Gemeindemitglieder, bittet Toller um ein Gespräch mit ihrem Mann Michael, einem radikalen Umweltaktivisten, der die Welt vor die Hunde gehen sieht. Mary ist schwanger, aber ihr Mann will nicht, dass das Kind in eine ökologische Hölle geboren wird, deren Ende er kommen sieht. In dem Gespräch der beiden, der zentralen Szene des Films, erkennt Toller reale Manifestationen jener melancholischen Selbstzweifel, die er Tag für Tag angstvoll und inzwischen auch körperlich krank in seine Kladde schreibt.
Nicht nur in der Beschreibung des mentalen Zustands der Hauptperson, sondern auch in der formalen Konzeption des Films geht Schrader ins Extrem. Der ganze Film besteht aus starren, unbewegten Einstellungen, so als wolle die Inszenierung die Eindrücke, Entwicklungen und Verschiedenheiten festnageln und den Zuschauer zwingen, genau hinzusehen, um hinter den Standbildern die existenziellen Fragen zu entdecken, welche die Protagonisten umtreiben. Nur zweimal kommt die Kamera in Bewegung; an Kulminationspunkten zwischen Himmel und Hölle, die „First Reformed“ einem ambivalenten Ende entgegenführen.
Man kann über diesen Film, der seine Hauptperson in die Abgründe des Zweifels und an die Grenzen der Erkenntnis führt, nicht schreiben, ohne die schauspielerische Leistung von Ethan Hawke zu würdigen. Schrader gibt dem Schauspieler wenig Gelegenheit zu äußerlicher Aktion. Für Hawke blieb nur ein Weg, dessen er sich mit erstaunlicher Vollkommenheit bemächtigt: die statuarische Rolle ganz von innen heraus zu spielen, sich dem Stil der Inszenierung so sehr anzupassen, dass die Verleugnung der eigenen Individualität Raum schafft für die einzige Person, um die es hier geht, einen an seiner Würde und an der scheinbaren Abwesenheit Gottes im Weltgeschehen verzweifelnden Menschen und Priester.