Notwehr (2017)
Action | China/Hongkong 2017 | 106 Minuten
Regie: John Woo
Filmdaten
- Originaltitel
- MANHUNT
- Produktionsland
- China/Hongkong
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Media Asia
- Regie
- John Woo
- Buch
- Nip Wan Fung · Gordon Chan · James Yuen · Itaru era · Ku Zoi Lam
- Kamera
- Takuro Ishizaka
- Musik
- Tarô Iwashiro
- Schnitt
- Lee Ka Wah
- Darsteller
- Hanyu Zhang (Du Qiu) · Masaharu Fukuyama (Yamura) · Ji-won Ha (Rain) · Jun Kunimura (Yoshihiro Sakai) · Angeles Woo (Dawn)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Action | Martial-Arts-Film
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Spätwerke fallen oft in eine von zwei Kategorien: Entweder stellen sie die Krönung einer ganzen Karriere da und verdichten Jahrzehnte ästhetischer Bemühungen, oder sie heben ihre inneren Widersprüche hervor und richten Kernideen gegen sich selbst. John Woos „Notwehr“ („Manhunt“), eine Rückbesinnung auf seine Heroic-Blodshed-Filme der 1980er- und 1990er-Jahre, ist beides zugleich: Eine Art Best-of des Hongkong-Regisseurs, mit einem offen zur Schau gestellten Verständnis für das eigene Schaffen, welches gleichzeitig von geradezu jugendlicher Naivität und Experimentierfreude geprägt ist.
Die Handlung ist simpel: Du Qiu (Hanyu Zhang) arbeitet als Anwalt für das große Pharmaunternehmen Tenjin Pharmaceuticals. Am Morgen nach einer Betriebsfeier wacht er im Bett neben einer toten Fremden auf – jemand will ihm einen Mord anhängen. Noch am Tatort wird er attackiert. Er flüchtet nicht nur vor der Polizei unter Inspektor Yamura (Masaharu Fukuyama), sondern auch vor unbekannten Auftragsmördern. Schnell wird klar, dass die Ereignisse mit einer neuen Droge zu tun haben, die ausgerechnet sein Arbeitgeber entwickelt hat. Für die permanente Vorwärtsbewegung auf dem Weg zur Aufklärung der Verschwörung mobilisiert Woo jeden Millimeter seiner Filmwelt. Im rasanten, oft plötzlichen Wechseln alternieren wahnwitzige Actionsequenzen und melodramatischer Pathos – diese beiden Modi trennt für ihn wenig.
Dabei verzichtet der Maximalist Woo auf eine klare, kohärente Inszenierungsstrategie, sondern begegnet jeder Einstellung mit einem neuen Werkzeug aus seinem gewaltigen Arsenal filmischer Mittel. Bewegungen werden zur Zeitlupe verlangsamt und wieder beschleunigt, die Kamera rotiert, zoomt und wippt entfesselt wie die Kämpfer selbst. Extreme Farben und Lichtstimmungen überhöhen die Emotionen einzelner Sequenzen, genau wie die Musik, die das gesamte Spektrum von Free Jazz über Rock bis hin zu Opernklängen durchläuft. Aufwändige Parallelmontagen verknüpfen disparate Räume und Zeiten. Mehrmals verschwinden harte Schnitte ganz aus dem Film, stattdessen lassen weiche Blenden die Bilder miteinander verschwimmen. Als Reporter Du Qius Wohnung überrennen, bringt plötzlich jeder Kamerablitz einen neuen Blickwinkel; einmal reduziert Woo einen Dialog zwischen seinem Helden und einem Tagelöhner sogar auf Standbilder.
Man würde hinter solchen Stilprotzereien die Arbeit eines jungen Regisseurs vermuten, der auf seine eigene Präsenz und seine Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen will. Man könnte sie auch für Willkür halten, ein zielloses Übersteigern, das vom Inhalt ablenken soll – „style over substance“. Beides wäre zu kurz gedacht. Wenn Woo in „Manhunt“ manchmal nah an der Selbstparodie ist, dann wohl, weil er sich gänzlich den eigenen Obsessionen hingibt und keine Zugeständnisse an Realismus oder bestimmte Erwartungshaltungen macht. Sein visueller Einfallsreichtum kennt keine Grenzen: Eine Sequenz verquickt mühelos dahinrasende Jetskis, einen Imbisswagen voller Auftragskiller und eine traditionelle Parade mit Drachenfiguren und Trommlern. Später jagen Angreifer auf Motorrädern einhellig mit einer Herde von Pferden über grüne Weiden auf ein altes Landhaus zu und preschen durch die Fenster wie Reiter, die eine Phalanx durchbrechen. Die Sprinkleranlagen eines Kaufhauses hüllen eine Verfolgungsjagd in Sprühnebel. Auch Woos ikonische Tauben steigen wieder gen Himmel: Anfangs begleiten sie als Schwarm einen Faustkampf der Hauptfiguren, zuerst als visuelles Grundrauschen, welches die Schlägerei in das Auge eines Tornados aus Federn verlegt, dann als schicksalshafte Lebensretter. Später dann als beiläufige Geste, als Wegwerf-Scherz. Selbstironie ersetzt den Heldenpathos nicht, sondern wird ein Teil davon.
„Heutzutage spricht niemand mehr über die alten Filme“, legt Woo einer Figur bereits in der ersten Szene in den Mund, nur um es dann doch immer wieder zu tun. Wenig später rettet ein alter Film ein Leben. „Manhunt“ ist nicht nur eine Hommage an Woos 2014 verstorbenen Lieblingsschauspieler Ken Takakura, sondern stellt sogar eine Neuauflage seines größten (gleichnamigen) Erfolgs da. Auch sich selbst zitiert der Regisseur und lässt seine Figuren für „A Better Tomorrow“ kämpfen. Immer, wenn die Figuren Englisch sprechen, fallen sie in die Hollywood-Phase des Regisseurs zurück: Ihre Stimmlage wird eine gute Oktave tiefer und geradezu lächerlich kernig, die Dialoge werden schlicht und phonetisch vorgetragen mit jener Unsicherheit, mit der sich Menschen durch dunkle Räume tasten. Auch diese Sprachwechsel sind Teil der großen gestalterischen Freiheit, mit der Woo eine Karriere von Wandel, Wachstum und Stillstand als pars pro toto zusammenträgt. Die Männerfreundschaften und Ehrenschwüre im Herzen seines Schaffens werden wieder einmal heraufbeschworen, aber auch hinterfragt und erweitert: Um Frauenfreundschaften, um Mentor-Schülerbeziehungen, um Bündnisse zwischen Feinden. „Manhunt“ ist ein chaotischer, ungezwungener Film, der sich in sich selbst verliert und gerade dadurch große Freude bereitet.