Lady Bird meint nicht etwa Lady Bird Johnson, die von allen Amerikanern verehrte Gattin des 36. US-Präsidenten, sondern eine 18-jährige Schülerin auf einer katholischen High School kurz vor dem Sprung an die Universität. Sie heißt eigentlich Christine und hat sich den Namen Lady Bird selbst gegeben. Ein bisschen Selbstbewusstsein und ein bisschen Opposition gegen ihre harsche Mutter haben dabei eine große Rolle gespielt. Ein Jahr in Christines Leben ist Gegenstand des Films.
Ein Teenagerfilm also, ein Film über das Erwachsenwerden, ein Film über die eigenartige Mischung aus Unsicherheit und Selbstfindung, die Teil dieses Alters ist. „Lady Bird“ ist aber auch ein Film, der beständig zwischen Ernst und Komik alterniert: in der Schule, im Elternhaus, in der Stadt, in der Christine aufwächst. Die Stadt spielt mehr als nur eine auswechselbare Rolle. Es ist Sacramento, die provinziell anheimelnde Hauptstadt von Kalifornien. Sie besitzt so viele Nestqualitäten, dass sie in jungen Menschen mit Freiheitsdrang geradezu die Sehnsucht nach den Verheißungen der Ostküste fördert. Die Autorin und Regisseurin Greta Gerwig ist dort aufgewachsen. Sie kennt sich aus in Sacramento, und ihr Film ist ebenso eine Liebeserklärung an die Stadt wie an die junge Hauptfigur.
Liebevolle Normalität
Dass „Lady Bird“ ganz anders ist als alles, was man von Teenagerfilmen gewohnt ist, macht den Film sympathisch. Damit ist nicht gesagt, dass „Lady Bird“ die Welt der Teenager mit anderen Augen sieht. Vielmehr besitzt der Film einen wunderbaren Tonfall, der im Filmschaffen selten geworden ist. Er ist liebevoll, weise, heiter und zärtlich, alles zur selben Zeit und selbst in Szenen der Konfrontation und des Konflikts, die keineswegs selten sind.
Christine ist kein außergewöhnliches Mädchen. Sie hat die gleichen Ambitionen wie die meisten Mädchen ihres Alters, sie hat einen Freund und eine Freundin, sie lebt in mittelständischen Verhältnissen, „jenseits der Bahngleise“, was in Sacramento heißt, dass sie nicht zu „den Reichen“ gehört, sie ist keine Einser-Schülerin, aber sie schafft die Abschlussprüfung. Mal strahlt sie ansteckenden Idealismus aus, mal ist sie rebellisch, dann wieder anpassungsfähig. Sie wächst einem gerade durch ihre Normalität rasch ans Herz, was an der feinfühligen Inszenierung von Gerwig, aber auch an der begabten Darstellerin Saoirse Ronan liegt.
Umbruchstimmungnach dem 11. September
Die Handlung spielt im Jahr 2002. Das ist weder nebensächlich noch zufällig. Es ist ein Jahr nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001, das Jahr also, in dem Amerikas Transformation begonnen hat und viele ihre Selbstgewissheit und ihr Selbstwertgefühl verloren haben. Gerwig macht daraus keine große Sache, aber die Umbruchstimmung ist jederzeit spürbar. Sacramento ist eine Fluchtburg, in der auch für die Verunsicherten ein Weiterleben möglich ist. Figuren und Befindlichkeiten werden jedoch weder wie in den meisten Teenagerfilmen nach konventionellen Regeln „abgearbeitet“, sondern erstaunen von Szene zu Szene durch die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, mit der sich die Menschen bewegen, mit der sie reden und reagieren.
Auch der Stil des Films drängt sich nie selbstzweckhaft auf. Alles passt einfach und besitzt einen unprätentiösen Charme, der an die Filme von Preston Sturges zurückdenken lässt, mit denen „Lady Bird“ einen gewinnenden Humor teilt. Manche Zuschauer mögen sich daran stören, dass es in Christines Geschichte nichts Radikales oder Aufrührerisches gibt, wie es zur Jugendszene meist dazu gehört. Aber es ist eben das Jahr 2002, und Gerwig zählt nicht zu den Autoren, die stets die Revolution vor Augen haben. Sie ist mehr damit beschäftigt, ihrer Heldin ins Herz zu schauen. Die weise Schwester Sarah, die Christines Entwicklung mit eben so viel Autorität wie Einfühlsamkeit verfolgt, wagt einmal einen Vergleich zwischen „Liebe“ und „Aufmerksamkeit“ – zwei Eigenschaften, die man auch Gerwigs Arbeit durchaus attestieren möchte.