Plötzlich war er tot. Gestorben bei einem Autounfall, unweit des kleinen Hauses, in dem er mit seiner Frau lebte. Erst vor kurzem hatte der bärtige junge Mann sich überreden lassen, aus dem alten Haus auszuziehen, mit dem er sich auf seltsame Weise verbunden fühlte. Jetzt bleibt seine Frau allein dort zurück. Zumindest augenscheinlich.
Die jungen Leute, über die Regisseur David Lowery hier erzählt, haben keine Namen. Nur zwei Anfangsbuchstaben, M und C, so steht es ihm Abspann. Ansonsten bleiben sie in dieser Hinsicht so rätselhaft wie vieles andere in diesem Film. So unerwartet C ums Leben kam, so unerwartet steht er im Krankenhaus wieder auf, obwohl er gerade seinen Verletzungen erlegen ist. Ganz langsam und als Geist, der exakt so aussieht, wie man sich Geister oft vorstellt: nicht als Furcht einflößende Fratze, sondern als weiß umhüllte Gestalt. Aber ohne Kette. Die Liebe zu M führt ihn zurück in das Haus. Doch dort ist er gefangen und hat kaum eine Möglichkeit, in die Welt der Lebenden einzugreifen. Tatenlos muss er zusehen, wie M leidet und trauert, wie sie sich irgendwann mit einem anderen Mann trifft und schließlich auszieht. Nur C kann nicht aus seiner Haut beziehungsweise seinem Laken. Er scheint verdammt, auf ewig in dem Haus ausharren zu müssen.
Lowery hat „A Ghost Story“ nach seinem ersten Hollywoodfilm „Elliot, der Drache“
(fd 44 094) gedreht, mit wenig Aufwand und ohne Rücksicht auf kommerzielle Aspekte. Das klobige 4:3-Format, das sich bei Arthouse-Regisseuren gerade wieder großer Beliebtheit erfreut, erzwingt einen anderen Blick. Und von dem Genrefilm, den der Titel zu versprechen scheint, ist „A Ghost Story“ meilenweit entfernt. Lowery spielt mit den Vorstellungen von Geistern und nimmt diese ganz ernst. Mehr noch: Er will nicht von den Opfern des Geistes erzählen oder jenen, die mit dem Geist konfrontiert werden, sondern von dem Geist selbst. „A Ghost Story“ ist die Geschichte eines Geistes, die sich radikal dessen Raum- und Zeitempfinden unterordnet, was der Inszenierung eine enorme künstlerische Freiheit eröffnet.
Manche Szenen dehnt der Film unendlich lang. Stumm steht der Geist hinter der trauernden M, während die am Boden sitzt und ganz langsam, gefilmt in einer einzigen statischen Einstellung, nahezu einen ganzen Apfelkuchen isst. Der Geist scheint in diese Szenen zu schweben. Er taucht nicht magisch aus dem Nichts auf, sondern bewegt sich physisch ganz langsam in den Raum hinein. In einer späteren Szene verstreicht die Zeit um ihn herum in rasender Geschwindigkeit. Im Laufe einer einzigen Kamerabewegung können Minuten, Stunden oder Jahre vergehen. Menschen, die eben noch am Leben waren, sind im nächsten Augenblick Leichen und einen Schnitt später nur noch Skelette. Der Film reicht in die Zukunft hinaus – und in die Vergangenheit zurück.
Als Gruselfilm funktioniert er deshalb überhaupt nicht, wohl aber als bisweilen sehr sperriges Drama über die Geschichtlichkeit von Orten, über Verlust und Trauer und die Ahnung, dass es mehr gibt im Leben als das, was man mit den Augen sehen kann. Eine Notiz, die M vor ihrem Auszug in einer Wandnische versteckt, wird für den Geist zur Obsession. Er will unbedingt wissen, was M darauf festgehalten hat, kann des Zettels aber nicht habhaft werden. Insofern geht es auch darum, das Loslassen zu lernen.
Casey Affleck erweist sich als Geist als ganz und gar uneitel; er hat sich darauf eingelassen, in diesem Film weitgehend unsichtbar zu bleiben. Verborgen unter einem langen weißen Laken, das nicht einmal seine Augen erkennen lässt, bestreitet er nahezu den gesamten Film. Einen „Oscar“-Gewinner derart zu verstecken und zum Beobachter ohne große physische Ausdruckskraft zu verdammen, ist vielleicht die größte Dreistigkeit dieses Independent-Films. Hier vollzieht sich eine Auflösung aller Regeln und alles Oberflächlichen, um den Blick für etwas Neues zu öffnen.