Drama | Türkei/Frankreich/Deutschland/Polen 2016 | 105 Minuten

Regie: Yesim Ustaoglu

Eine Psychologin aus Istanbul absolviert in einer abgelegenen Küstenstadt ein Pflichtpraktikum, wobei sie einer traumatisierten Frau begegnet, die nach dem Unfalltod ihrer Familie von Schuldgefühlen zerfressen wird. Obwohl die Frauen aus unterschiedlichen Schichten diametral entgegengesetzte Lebenserfahrungen gemacht haben, deckt die Therapie bei beiden eine tief verwurzelte Einsamkeit auf, die aus der weiblichen Unterdrückung in einer patriarchalen Gesellschaft herrührt. Das komplexe Drama über traditionalistische Rollenbilder von Körper, Sexualität und Persönlichkeit setzt die Befindlichkeiten der aufgewühlten Frauen in eine existenzialistische Bildsprache um, bleibt dabei aber eher akademisch, als dass es berührt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CLAIR OBSCUR | TEREDDUT
Produktionsland
Türkei/Frankreich/Deutschland/Polen
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Ustaoglu Prod./Slot Machine/Unafilm/Aeroplan Film
Regie
Yesim Ustaoglu
Buch
Yesim Ustaoglu
Kamera
Michael Hammon
Musik
Antoni Komasa-Lazarkiewicz
Schnitt
Agnieszka Glinska · Svetolik Mica Zajc
Darsteller
Funda Eryigit (Chehnaz) · Mehmet Kurtulus (Cem) · Ecem Uzun (Elmas) · Okan Yalabik (Umut) · Emirhan Arikan (Yusuf)
Länge
105 Minuten
Kinostart
07.12.2017
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Existanzialistisches Drama über zwei unterdrückte Frauen

Diskussion
Die Psychologin und die Hausfrau: zwei Frauen aus unterschiedlichen Verhältnissen, die mehr miteinander verbindet, als es zunächst scheint. Mit ihrem neuen Film erörtert die Regisseurin Yeşim Ustaoğlu an Hand weiblicher Rollenbilder, warum die türkische Gesellschaft nicht nur in konservativen Kreisen, sondern auch in der Mittelschicht auf der Stelle tritt. Ein existenzialistisches Pamphlet für weibliche Selbstbestimmung, dessen akademische Reflexionsmethode die Zuschauer jedoch über weite Strecken auf Distanz hält. Die Psychologin Chehnaz absolviert ein Pflichtpraktikum in einer abgelegenen Küstenstadt. Zu Hause in Istanbul bewohnt sie mit ihrem Ehemann Cem, einem erfolgreichen Architekten, eine schicke Designerwohnung. Elmas wurde hingegen im Alter von 13 Jahren zwangsverheiratet. Sie muss sich um die herrische Schwiegermutter kümmern. Ihrem Ehemann geht sie aus Angst vor sexuellen Annährungsversuchen am liebsten aus dem Weg. Sie ist bei Chehnaz in Behandlung, nachdem Ehemann und Schwiegermutter durch eine Kohlenmonoxid-Vergiftung umgekommen sind. Elmas zerbricht an ihrem schlechten Gewissen: dazu erzogen, ihrer Familie zu dienen, fühlt sie sich schuldig, dass sie ihren Mann beim Sex nicht befriedigen konnte. Doch auch Chehnaz, deren urbaner Lebensentwurf sich scheinbar diametral von Elmas Dasein als Zwangsverheiratete unterscheidet, leidet: Wenn sie am Wochenende nach Hause kommt, guckt ihr Mann Porno-Videos. Er bevormundet sie, der Sex dient ausschließlich seiner Befriedigung. „Clair Obscur“ ist eine Metapher über eine Gesellschaft, hinter deren äußerlichem Wandel traditionelle Strukturen überlebt haben. Die Protagonistinnen können sich niemandem anvertrauen. Das Familienleben fordert Pflichterfüllung, statt Geborgenheit zu vermitteln. Konflikte bleiben unausgesprochen hinter stillem Leid versteckt, die sexuelle Identität der Frauen wird nicht zur Kenntnis genommen. Das führe, so die Filmemacherin, zu psychologischen Verletzungen, deren Folgen „quer durch unsere Gesellschaft zu spüren sind – einer Gesellschaft, die von innen heraus verfault.“ Ustaoğlu geht es um die Auswirkungen gesellschaftlicher Konventionen auf Körper, Sexualität und die Entdeckung der eigenen Persönlichkeit. „Clair Obscur“ ist intimer als die meisten Filme, die sich mit den Auswirkungen patriarchaler Gesellschaftsstrukturen auseinandersetzen. Die damit einhergehende innerliche Aufgewühltheit wird mit einer existentialistischen Bildsprache in Szene gesetzt: man sieht kaum Menschen auf den Straßen, der Himmel ist stets wolkenverhangen, die winterliche Brandung schlägt hart gegen die Felsen der Steilküste. Auch in Chehnaz’ und Cems Designerwohnung bleibt es trotz Kaminfeuer und teurer Couchgarnitur recht kühl; das Gefühl der Verlassenheit in Folge festgeschriebener Rollenbilder zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Ein wenig Wärme kommt erst in der recht langen Therapieszene auf, in der Elmas ihre Familienkonstellation nachstellt. Wie in der Therapieform, auf die sich Ustaoğlu bezieht, wird mit Hilfe von Gegenständen ein Rollenspiel inszeniert, das die Ursachen für die psychischen Verletzungen der jungen Frau rekonstruieren soll. Der Plot von „Clair Obscur“ ist ebenfalls als Rollenspiel angelegt. Dafür gibt Mehmet Kurtuluş den starrsinnigen Ehemann mit steinernem Mienenspiel. Auch Elmas’ bösartige Schwiegermutter und ihr dominanter Ehemann werden recht klischeehaft als Eckpunkte eines Dramas gezeichnet, das zuweilen lehrstückhafte Züge annimmt. So geht hinter der vordergründigen Intimität auf weiten Strecken die innere Psychologie verloren, die nötig wäre, um neben der akademischen auch eine emotionale Nähe zu den Protagonistinnen aufzubauen. Dennoch liefert Ustaoğlu eine außergewöhnliche Analyse über das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Erstarrung, Sexualität und Selbstbefreiung, die scharfsinnig hinter die Kulissen der türkischen patriarchalen Gesellschaft und deren Kritiker schaut.
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