Im Sommer 1976 ging Rudi Carrells Wunsch nach „Sonne von Juni bis September“ tatsächlich in Erfüllung. Ein geradezu legendär heißer Sommer, in dessen Verlauf zunächst Uli Hoeneß einen Elfmeter in den nächtlichen Himmel von Belgrad verschoss und später, nach der Geiselbefreiung von Entebbe, eine Reihe afrikanischer Länder die olympischen Sommerspiele in Montréal boykottierten.
Die Filmemacherin Sonja Maria Kröner (Jahrgang 1979) hat mit ihrem im Sommer 1976 spielenden Spielfilmdebüt einen Film gedreht, der aussieht, als blättere man in einem alten Familienalbum, das auf einem Dachboden gefunden wurde. „Sommerhäuser“ ist zunächst eine forcierte Ausstattungsorgie von ausgesuchter Hässlichkeit. Es ist die Zeit bunter, gelber oder beiger Blusen, unförmiger Jeans-Röcke, klobiger Pumps und fast farbloser Kittel. Die Männer tragen bevorzugt Turnhosen zum gelben Hemd. Doch die Inszenierung will die Figuren mittels der furchterregenden Ausstattung nicht etwa denunzieren, sondern registriert durch Kleidung und Alltagsgegenstände schlicht, dass die Jahre der cool-urbanen Styles auch in der Bundesrepublik noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten lassen. Kröner vermeidet zudem den Fehler, Zeitkolorit durch unmissverständliche Zeichen und Sounds zu signifizieren und zur „großen Erzählung“ zu formen. „Sommerhäuser“ ist ein Film über 1976, aber ohne Haupt- und Staatsaktionen, ohne Fernsehbilder, ABBA, die Bellamy Brothers, Helmut Schmidt, den Tod von Ulrike Meinhof, Soweto und Seveso. Der Film spielt im Abseits, in einer potentiellen Idylle, in einem großen Gemeinschaftsgarten, in dem mehrere Generationen einer Familie ihre Wochenenden, Feiertage und Ferien verbringen.
Allerdings ist gerade Oma Sophie gestorben; ein Blitzeinschlag hat Schäden auf dem Grundstück angerichtet, und es gibt höchst unterschiedliche Pläne, wie es mit dem Grundstück weitergehen soll. Während die ältere Generation die Optionen wägt, treffen die Kinder und Enkel ein. Auch hier liegen Konflikte in der Luft: die alleinerziehende Gitti gibt sich provinziell und pflegt wechselnde Männerfreundschaften. Von Janas Vater gibt es jedenfalls keine Spur; auch dies hat offenbar Tradition. Bernds Ehefrau Eva bemüht sich nach Kräften, Gittis „Lotterleben“ ihre Musterfamilie entgegenzusetzen. Bleiben noch die Enkel, die mit Kinderaugen ein Terrain voller Geheimnisse erkunden, sich um das Baumhaus balgen, aber vor allem auch das mysteriöse Nachbargrundstück durchstöbern, das mal verwunschen-magisch, mal fast unheimlich erscheint.
Die Regisseurin lässt viele Erzählfäden souverän lose, balanciert clever zwischen dramaturgischer Verdichtung der Konflikte und unbeschwerter Sommerfrische am Swimmingpool. Doch ganz unbeschwert ist es nie: Mal häufen sich Wespen-Attacken, mal eskaliert ein Streit; Janas Geburtstag steht ins Haus und wird eine ernüchternde Erfahrung mit sich bringen. Im Hintergrund läuft die Suche nach einem verschwundenen Mädchen, dessen Leiche später in unmittelbarer Nähe des Grundstücks gefunden wird.
Es ist die große Leistung des Films, mit Hilfe eines eindrucksvollen und prominenten Ensembles die Banalität und die Widersprüche der Erwachsenen mit der Neugier und dem Mut der Kinder auf eine Weise zu verschmelzen, dass trotzdem ein Unbehagen bleibt. Man beginnt mit dem Schlimmsten zu rechnen, ohne zu wissen, worum es sich dabei handeln könnte. Ausgerechnet an Janas Geburtstag eskalieren viele der bislang nur schwelenden Konflikte, ohne dass sich alles in Wohlgefallen auflösen würde. So könnte es immer weitergehen. Doch dann kündigt sich ein weiteres Gewitter an, das nicht nur diesen Jahrhundertsommer jäh enden lässt.