Um Verbrechen zu verhindern, setzen Ermittler vermehrt auf Datenanalysen, mit denen Kriminelle bereits vor der Tat aufgespürt werden sollen. Der Dokumentarfilm beschreibt bereits angewendete Methoden solcher Verbrechensvereitlung und befragt Experten, unter denen die kritischen Stimmen weit überwiegen. Besonders problematisch erscheint die Willkür der Technik, was aber von den Herstellern angesichts des lukrativen Geschäfts oft ausgeklammert wird. Eine informative und vielschichtige Analyse, die in der Uferlosigkeit der brisanten Problematik freilich auch etwas ratlos zurücklässt.
- Ab 16.
Pre-Crime
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 91 Minuten
Regie: Monika Hielscher
Kommentieren
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Kloos & Co. Medien
- Regie
- Monika Hielscher · Matthias Heeder
- Buch
- Monika Hielscher · Matthias Heeder
- Kamera
- Friede Clausz · Sebastian Bäumler · Konrad Waldmann
- Schnitt
- Christoph Senn
- Länge
- 91 Minuten
- Kinostart
- 12.10.2017
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Doku über neue Methoden der Verbrechensvorbeugung, die mit computergestützten Vorhersagen und Unterstellungen arbeiten
Diskussion
Um einen Menschen nach geltendem Recht bestrafen zu können, muss er schuldhaft eine rechtswidrige Tat begangen haben. Das ihm vorwerfbare Verhalten liegt also in der Vergangenheit. Was künftig sein wird, interessiert das Gesetz nicht; wir befinden uns schließlich nicht im „Minority Report“ (fd 35 602).
Von diesem Grundsatz gibt es aber auch heute schon Ausnahmen. Die Bildung einer Vereinigung, um zukünftig Straftaten zu begehen, ist ebenso strafbar wie die Vorbereitung einer „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Doch die Methode, der die Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder in ihrem Dokumentarfilm „Pre-Crime“ nachspüren, setzt deutlich früher an. Sie heißt „Predictive Policing“ und beruht auf riesigen Datenmengen, die von speziellen Algorithmen auf Auffälligkeiten hin durchsucht werden. Schon eine harmlose Postsendung kann einen Bürger dadurch zu einem Verdächtigen machen. In den USA bekundete eine Frau über Facebook ihr Faible für „Rage“, womit sie ein gleichnamiges Kartenspiel meinte; ins Visier der Behörden geriet sie jedoch, weil dieses Wort auch Wut bedeutet: der unbedarfte Algorithmus legte nahe, dass von ihr Gefahr ausging.
Eines der vielen Probleme dieser Technik ist gerade nicht das Überpräzise, sondern die Willkür, mit der Rückschlüsse gezogen werden. Der Fall der Frau ist nur eines der beunruhigenden Beispiele, auf die die Filmemacher bei ihren Recherchen gestoßen sind. Regisseur Heeder ist dabei regelmäßig am Ufer einer rauen Felsküste zu sehen, wo er sich ganz analog ein Schaubild der Datenströme macht. Zu nervös-hochtourigem Elektrosound schaut man Experten aus aller Welt dabei zu, wie sie das komplexe Phänomen zu erklären versuchen. Sie sind Ermittler, Informatiker und Datenschützer. Einige befürworten die Technik, die auf Sicherheitskongressen anpriesen wird; es handelt sich dabei auch um ein Riesengeschäft. Überwiegend aber kommen Kritiker zu Wort. Angesichts der mit der Digitalisierung nochmals beschleunigten Vermessung und Berechnung menschlichen Verhaltens geben sie zu bedenken: „Die Algorithmen verstehen die soziale Dynamik nicht.“ Außerdem gebe es keine neutralen Daten.
In Chicago wird Predictive Policing bereits eingesetzt. Dort kann es einem zum Verhängnis werden, in der Nähe eines Tatorts gesehen zu werden. Wer im falschen Viertel lebt, gilt schon qua Postleitzahl als suspekt und gerät so schnell ins Visier staatlicher Repression. Als Kronzeugen bedienen sich Hielscher und Heede dabei auch des britischen Rappers Smurfz. Dessen Rede vom planmäßigen Kampf gegen die Schwarzen erscheint aber nicht sonderlich überzeugend. Die scheinbare Lösung sozialer Probleme durch drakonische Strafen armer Delinquenten hat in den USA aber bizarre Ausmaße angenommen.
Strafverfolgung und Prävention sind in dieser Welt nur noch schwer zu unterscheiden. Wozu braucht man noch Richter, wenn die Ermittler alles im Vorfeld erledigen können? Als Objekt dieser halbgaren Prognosewissenschaften kann man sich auf die Unschuldsvermutung nicht mehr berufen. Der Einwand, dass die Ermittler ja mit Daten arbeiten, welche ihnen die Bürger freiwillig geben, greift zu kurz. Denn einen Großteil der Daten kauft der Staat Unternehmen wie Google ab, welche die Daten ihrer Kunden speichern – um Bewegungsprofile zu erstellen oder politische Präferenzen zu erforschen. Wozu das alles? Die Juristin Yvonne Hofstetter ist überzeugt: Datenscoring generiert Wirtschaftswachstum. Das ist die neueste Spielwiese des Kapitalismus: „They are trying to sell products“, ist ein anderer Experte überzeugt.
Das alles lässt einen ein wenig ratlos zurück, was weniger am informativen Film als an der augenscheinlichen Wahnwitzigkeit des Sujets liegt. Man kann diese gesellschaftliche Zurichtung mittels „Beware Software“ und omnipräsenten Überwachungskameras auch als weiteren Schritt hin zur Ausmerzung jeglichen Zufalls oder jeglicher Abweichung auf allen Ebenen sehen – ähnlich dem Fernsehbeweis in der Bundesliga oder dem akustischen Tadelsignal für nicht angeschnallte Autofahrer.
Wer aber glaubt, dass es sich bei Pre-Crime nur um paranoide Science-Fiction handelt, der möge den Begriff einfach mal bei Google in die Suchmaske eingeben.
Kommentar verfassen