In der Werbung für Milchprodukte ist die Welt noch in Ordnung. Da grasen glückliche Kühe auf sattgrünen Almen und rühren Frauen in bäuerlicher Tracht in hölzernen Zubern Joghurt an. Dass diese Idyllen mit der Realität wenig gemein haben, wird den meisten durchaus klar sein. Aber wie das mit der Ware Milch auf dem Weltmarkt genau läuft, wissen allenfalls Insider des Gewerbes. Mit Hilfe von „Das System Milch“ lässt sich aber ein Blick hinter die Kulissen der Milchindustrie werfen.
Der Dokumentarist Andreas Pilcher hat mit Bauern, Managern, Politikern und Wissenschaftlern auf mehreren Kontinenten gesprochen. Er zeichnet in seinem Film nach, wie sich das Geschäft mit der Milch in den letzten Jahrzehnten verändert hat. In Dänemark besucht Pilcher einen Großbauern, der mit Landleben-Romantik nichts am Hut hat. „Kühe sind für mich Nummern“, erklärt er nüchtern. 750 Tiere stehen in seinem Stall. Sie produzieren in erster Linie für den dänischen Molkerei-Konzern Arla, der zur Top 5 unter den globalen Milch-Playern zählt. Der Manager des Unternehmens schwärmt deshalb auch von den gigantischen Wachstumsmärkten in Asien, wo Kuhmilch erst seit kurzer Zeit auf dem Speisezettel steht und einen regelrechten Hype um entsprechende Milchprodukte entfacht hat. Der Film macht deutlich, dass dieser gigantische Bedarf nur durch Massentierhaltung mit den bekannten Folgen für Mensch, Tier und Umwelt zu decken ist. Bei dieser Produktion fallen für jeden Liter Milch drei Liter Gülle an; eine Wiese bekommen die meisten der mit Kraftfutter gemästeten Hochleistungskühe in ihrem ganzen Leben nie zu sehen.
„Das System Milch“ fällt zwar unter die derzeit geradezu inflationären Dokumentation über Umwelt und Ernährung. Doch im Gegensatz zu vielen anderen gefällt sich der Film nicht als Mahner oder missionarischer Eiferer; die Inszenierung setzt vielmehr auf Informationen und überlässt es dem Zuschauer, seine Schlüsse zu ziehen. Zudem suggeriert der Film weder eine drohende Apokalypse noch dass es für die komplexe Materie mit ihren zahlreichen Interessenskollisionen einfache oder schnelle Lösungen gäbe. Dem Südtiroler Bio-Bauern, der sich auf seinem Hof allen Expansionsvorschlägen widersetzt, gehört zwar eindeutig die Sympathie des Filmemachers, aber auch er wird nicht zum Heilsbringer stilisiert. Der Film stellt seine kontrastiven Bilder nebeneinander, wie er auch in den Gesprächen auf mehreren Kontinenten nicht auf polemische Zuspitzung aus ist. Eine aufwändige, bisweilen auch originelle Kameraarbeit sorgt außerdem dafür, dass man auf der Leinwand weit mehr zu sehen bekommt als in vielen thematisch vergleichbaren Produktionen, die oft nicht mehr als einfalls- und lieblos bebilderte Thesenpapiere sind.