John Maddens „Die Erfindung der Wahrheit“
(fd 44 791) hat es gerade erst wieder im Spielfilm vorgeführt: Nicht die Politik regiert die Welt, sondern der Lobbyismus. Wenn Mächtige Vorstellungen von der Welt haben und diese in „Vorschläge“ verpacken, dann hat das Gewicht und zählt mehr als jede Debatte. Wer im Spiel der Großen mitspielen will, braucht keine Argumente, sondern einen fähigen Lobbyisten. Das dachte sich sicher auch Al Gore, der als US-amerikanischer Vizepräsident, Präsidentschaftskandidat und bestechender Profipolitiker weiß, wie das Geschäft funktioniert. Nachdem er 2000 gegen die Republikaner (und das schmutzige Geschäft um die Macht) knapp (und umstritten) unterlag, kniete er sich noch einmal richtig in „seine Sache“; aus einer seiner Vortragsreisen entstand 2005 dann der Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“
(fd 37 830).
Gore hat schlagende Argumente für das, was aktuell der US-amerikanische Präsident Donald Trump ignoriert: Die Welt geht vor die Hunde, weil das Klima verrücktspielt, und der Mensch ist daran schuld. Sein beharrlicher Versuch, zu erläutern und zu zeigen, was an der fatalen Weltklimalage offensichtlich ist, wurde zunächst belächelt und angefeindet, von politischen Gegnern wie auch von Geschäftsmännern und Lobbyisten der Gegenseite, beispielsweise auch Trump. Mehr als zehn Jahre sind seit „Eine unbequeme Wahrheit“, dem mit einem „Oscar“ ausgezeichneten „Denkanstoß“ vergangen. Paris erlebte furchtbare Anschläge und nahezu zeitgleich einen legendären Klimagipfel, bei dem die Welt (auch die USA) einsah, dass etwas gegen umweltpolitische Unvernunft getan werden müsse. So wurde es Zeit, um erneut den Stand der Dinge zu resümieren – Zeit auch für Al Gore, eine immer noch unbequeme Wahrheit zu verkünden.
Eigentlich hat sich nicht viel an den Argumentationsketten von einst geändert: Der Mensch der Ersten Welt hat aus Ignoranz und Profitdenken über Generationen alles Erdenkliche getan, um das Klima zu ignorieren. Aus westlich kreationistischer Sicht sei dies ohnehin gottgegeben und nicht änderbar. Die Folge dieses menschlichen Handelns war ein schleichender, inzwischen signifikanter Eingriff ins Umweltgefüge, durch den das Wetter verrücktspielt und im Extremfall der Welt um die Ohren fliegt. Der distinguierte Staatsmann Gore hatte dies schon erkannt, als es noch als Warnung wirrer Grüner und Weltuntergangsapologeten abgetan wurde, wobei er seine Botschaft nicht in Revolutionsgebrüll oder kratzige Strickpulli-Attitüde verpackte, sie vielmehr in nachdenklichem Kaminzimmergeplauder und mittels PowerPoint präsentierte. Gore kann argumentieren wie kaum ein anderer, und in seiner in Maßanzügen präsentierten Lässigkeit überzeugt er auch Menschen, die im Mercedes zum Einkaufen fahren. Dabei hat sich das Charisma des Vortragenden inzwischen etwas geändert; er wirkt als weiser „elder statesman“, der die „unbequeme Wahrheit“ immer noch auf seine Weise verpackt. So erzählt er mit unvermindert hoher Präsenz, wie er auf der Weltklimaschutz-Konferenz in Paris – quasi im Alleingang – die richtigen Telefonate geführt und Indien dazu bewegte, doch mit ins Boot der Schützenden zu kommen; dank seiner richtigen Worte und Kontakte wurde Paris hinter den Kulissen zum Erfolg. Bis Donald Trump US-Präsident wurde: Alles auf Anfang.
„Immer noch eine unbequeme Wahrheit“ ist ebenso spannend wie eingängig entwickelt, und immer dann schlagend, wenn er postuliert, was 2006 verwegen prophezeit wurde und inzwischen so eingetreten ist. Dann schlägt der Film die Lobbyisten der dunklen Seite, der Umwelt- und Weltenzerstörer mit ihren eigenen Waffen, was mitunter nicht redlich und schon gar nicht ausgewogen ist, gleichwohl aber eine wertvolle Entscheidungshilfe für die, die sich in den Dienst der (natürlich) guten Sache stellen wollen. Vor allem aber ist der Film Werbung für Al Gore, den man sich als konsequenten „Revolutionsführer“ für eine bessere Welt wünscht, der (höchstwahrscheinlich) eher mit Spenden grüner Großkonzerne an die Macht kommen wird als durch die frommen Wünsche grüner Weltverbesserer. Sei’s drum: Die Welt wäre ohne Menschen wie Al Gore womöglich bereits am Ende. So nährt der Film die Hoffnung, dass die Kinder unsere Kinder noch eine Chance haben.