Der Künstler im Profil: Mit schlohweiß aufragendem Schopf, die Zigarette im Anschlag, sitzt David Lynch in seinem Sessel und schaut auf das, was der Kameraausschnitt rechts verbirgt. Vogelgezwitscher untermalt die Open-Air-Werkstätte, bevor leises Dröhnen aufkommt, in das dumpfe Pling-Töne fallen – wie Wassertropfen in ein ohnehin schon aufgewühltes Bewusstsein. Die Kamera zeigt das, was man im unsichtbaren Raumausschnitt vermutet: Ein großformatiges Gemälde löst das nächste ab und enthüllt eine Sammelsurium plastischer Gestalten. Düstere Visionen à la Francis Bacon erscheinen auf der Leinwand, unfertig, manchmal entstellt, manche sogar komisch, oft unterschwellig gewalttätig.
Ein „Work in Progress“ – das scheint auch auf die Vergangenheit zuzutreffen, die David Lynch nach erster eigener Aussage die Ideen für seine Kunstwerke eingibt. Da hat er sich schon in eine verglaste Souterrain-Kammer vor ein Mikrofon begeben, doch im direkten Interview wird man diesen Arrangeur unheimlich-unwirklicher Szenarien dennoch nie sehen. Vielmehr lässt die Dokumentation Lynchs schöpferische Arbeit sprechen: die Sprache seiner klebenden, bastelnden, schmierenden Hände, während seine Voice Over über den entstehenden Bildern hängt. Langsam, wohlüberlegt erzählt Lynch von einem Leben, von dem man sich schon immer gefragt hat, welche Art von Kindheit und Jugend wohl solche surrealistischen Kopfgeburten wie „Eraserhead“, „Der Elefantenmensch“ oder „Twin Peaks“ hervorbrachte.
Was Lynch dann jedoch erzählt, ist eine andere Geschichte, als es die Werke des düsteren Geschichtenerzählers erahnen lassen. Untermalt von intimen Super-8-Aufnahmen schildert er eine Kindheit, die glücklicher nicht hätte sein können: liebende Eltern, die sein Talent förderten, seinen Wünschen diplomatisch entgegenkamen und ihm Freiheit schenkten, weil sie ihm vertrauten. Dann brechen Erlebnisse ein, die der traumhaften Jugend etwas albtraumhaft Unwirkliches verleihen: Die nackte Frau mit der weißen Haut, die David und seinem kleinen Bruder auf der nächtlichen Straße mit blutverschmiertem Mund begegnete. Vorbeihuschende Highway-Streifen, die ihn im bekifften Zustand faszinierten. „Blue Velvet“ und „Lost Highway“ lassen grüßen. Lynch beschreibt eine von schlechtem Einfluss geprägten Jugendjahre, seine Zeit an der Kunstakademie in Philadelphia, dieser „bösartigen Stadt“, die ihren Bewohnern alle Fröhlichkeit aussaugte. Rassismus, Bigotterie, Hass – bis seine Angst an der Filmhochschule von L.A. unter kalifornischer Sonne vertrieben wurde.
Lange stand Lynch als außergewöhnlicher Schöpfer eines surrealistischen Filmwerks für Kinogänger zuletzt selbst im künstlerischen Schatten. „Inland Empire“
(fd 38 142) war sein letzter Kinofilm nach dem Meisterwerk „Mulholland Drive“
(fd 35 220). Die aktuelle Fortsetzung von „Twin Peaks“ führt lediglich seine Serienarbeit fort. Zuvor munkelte man von Lynchs Engagement für die Transzendentale Meditation, mit der er seine Anhänger verwirrt (thematisiert in der Dokumentation „David Wants to fly, fd 39 855). Gerne inszeniert er sich als unfassbar in einer offenbaren (An-)Greifbarkeit und bleibt doch ein Mysterium. „David Lynch: The Art Life“ präsentiert hingegen sein Objekt der Betrachtung so klar, dass die Verlässlichkeit des Erzählers selbst in Verdacht gerät. Allein Lynch darf hier über Lynch erzählen. Für andere Stimmen ist in all der Selbstreflexion kein Raum. Nur seine kleine Tochter Lula findet einen stummen (Sitz-)Platz neben „ihrem“ Schöpfer bei der Arbeit.
„The Art Life“ ist derart von Lynchs Worten und Werken bestimmt, dass man den Film als Selbstporträt bezeichnen könnte, würden die Filmemacher nicht eine so geschickte Kontextualisierung in Bild und Ton betreiben. Vor allem klanglich unterstreicht die Gestaltung den faszinierenden Einblick in die Psyche eines Mannes, die, eingedenk seiner filmischer Werke, von seinen Gemälden und Hochschularbeiten Collagen-artig gespiegelt wird. „Eingedenk“, weil Lynchs Werdegang von Jon Nguyen nur bis zu seinem Durchbruch „Eraserhead“
(fd 22 752) skizziert wird. Umso faszinierender, dass ein Leben, das so viel glücklicher als andere verlief, trotzdem derart groteske Visionen hervorbrachte. Lynch gewährt von ihm selbst abgesteckte Einblicke durch eine Kunst, die er in seinen Anfängen als „grottig“ bezeichnet. Statt des genialischen Regisseurs enthüllt er sich als Privatperson, die es früh wagte, den Weg des „Art Life“ einzuschlagen, und nicht verschweigt, welche Vorbilder und Unterstützer ihn dorthin hebelten, wo er jetzt steht. Und doch bleibt der Eindruck, dass hinter der aufgebauten Fassade so viel mehr schlummert, was nur darauf wartet, hervorzubrechen. Vielleicht das, was zu Beginn im unsichtbaren rechten Bildrand lauert und (bislang) nur von Lynch selbst in Betracht gezogen wird.