Spannende Annäherung an die Ereignisse der russischen Februar- und Oktober-Revolution 1917 aus der Sicht von fünf Künstlern: Aufzeichnungen und Zeugnisse von Wladimir Majakowski, Kasimir Malewitsch, Maxim Gorki, Alexander Benois und Sinaida Hippius erweckt der Film mit Abstraktion und Animation, Lege- und Stopptrick, historischen Filmaufnahmen und Archivmaterial zum Leben. Die betont subjektive Chronologie der Ereignisse setzt mit visuellem Einfallsreichtum das Verhältnis von Politik und Kunst in ein neues Licht und überzeugt als kreative Collage aus Stimmen, Geräuschen und Bildern.
- Sehenswert ab 14.
1917 - Der wahre Oktober
Animation | Deutschland/Schweiz 2017 | 93 Minuten
Regie: Katrin Rothe
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Filmdaten
- Originaltitel
- 1917 - DER WAHRE OKTOBER
- Produktionsland
- Deutschland/Schweiz
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Katrin Rothe Filmprod./Dschoint Ventschr/Maxim Film/rbb/SRG/SRF
- Regie
- Katrin Rothe
- Buch
- Katrin Rothe
- Kamera
- Björn Ullrich · Markus Wustmann · Thomas Schneider · Robert Laatz
- Musik
- Thomas Mävers
- Schnitt
- Silke Botsch
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 11.05.2017
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Animation | Dokumentarfilm | Künstlerporträt
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Animierte Geschichtsstunde über die russische Revolution 1917. Regie: Katrin Rothe
Diskussion
„Ich kann mich wie jeder andere in dieser Zeit nicht zurechtfinden. Verstehe nichts. Bin erschüttert. Es bleibt nur eins: Wenn schreiben, dann einfach.“ Ein Ausdruck tiefer Verunsicherung, festgehalten im russischen Revolutionsjahr 1917 von der Lyrikerin Sinaida Hippius, die damals in Petrograd, dem heutigen Sankt Petersburg, lebte. Dort hat nach den Aufständen im Februar Zar Nikolaus II. abgedankt. Die Monarchie ist zu Ende. Stattdessen regiert nun eine provisorische Regierung aus Parlament und den Arbeiter- und Soldatenräten, mehr gegeneinander als gemeinsam. Hippius, deren Meinung in Petrograder Literaturkreisen zählt und in deren Wohnung Künstler wie Politiker zusammenkommen, wird zu einer Chronistin dieser Umbruchszeit. Monate später, im Oktober 1917, werden die Bolschewiki das Winterpalais stürmen und mit Lenin an der Spitze die Macht im Lande übernehmen. Die Geschichte und alles, was folgte, ist bekannt.
Kann man die Februar- und Oktoberrevolution, den radikalen Gewaltenwechsel in Russland, noch einmal erzählen? Ist nicht alles schon gesagt und geschrieben worden in den vergangenen hundert Jahren? Die Dokumentarfilmerin Katrin Rothe hat es gewagt. „Ich will wissen, wie die Revolution von Künstlern erlebt wurde“, beschreibt sie in ihrem Ansatz. „Was machte die Revolution mit ihnen, und sie mit der Revolution?“ Antworten hat sie in Tagebüchern, Berichten und literarischen Werken gesucht, etwa in den Schriften Maxim Gorkis, der schon während des Zarenregimes Marxist und mit Lenin befreundet war und nach den Aufständen mit dem Kunstkritiker Alexander Benois eine „Übergangskulturbehörde“ gründete, um russische Kulturdenkmäler zu bewahren. In ihren Kreisen bewegt sich auch Wladimir Majakowski. Ein junger Dichter, dessen provozierende Wortgewalt an die der späteren Beat-Poeten erinnert. Er stürzt sich mit Wucht in die Straßenkämpfe und träumt von einer umfassenden Erneuerung der Kunst, die auch der avantgardistische Maler Kasimir Malewitsch anstrebt, der an der Bildung der ersten Kunst-Brigade beteiligt ist.
Fünf Künstler mit unterschiedlichen Perspektiven, Erlebnissen, Hoffnungen. Fünf Zeitzeugen, deren Aussagen aus Gedrucktem stammen, womit für Rothe klar war, dass Papier auch die Grundlage ihres Films sein sollte. Statt Re-Enactment mit Darstellern vor historisch anmutender Kulisse setzte sie auf Abstraktion und Animation, auf klassischen Lege- und Stopptrick. So klettert Gorki zu Beginn wortwörtlich als Pappfigur aus den Seiten eines Buches hervor und bewegt sich fortan durch den Lauf der Geschichte, den die Regisseurin, die selbst immer wieder im Bild ist und für eine zusätzliche Sichtweise sorgt, als fetten Zeitstrahl mit roter Farbe auf eine Zimmerwand gemalt hat.
Rothes Chronologie der Ereignisse anhand der ausgewählten Künstlerbiografien entwirft eine Collage der Stimmen, Geräusche und Bilder. Die Inszenierung montiert Animationssequenzen mit Fotografien, Archivmaterialien und gegenwärtigen Filmaufnahmen. Jede Figur wird auf ganz besondere Art mit unterschiedlichen Materialien und individueller Stimme als eigenständiger Charakter greifbar und lebendig: Das Gesicht von Benois ist aus Holz, die Stimme leiht ihm Hanns Zischler; Malewitsch gleicht seinen abstrakten Bildern, die Hippius trägt ein filigranes Folienkleid.
Die anonymen Massen treten als Scherenschnittfiguren auf, die in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit roter Farbe überschwemmt werden. Der Animationsfilm überrascht immer wieder mit seinem visuellen Einfallsreichtum. Eindringlich vermittelt er das ideologische und menschliche Wirrwarr jener Umbruchszeit, zeigt neue Facetten teils bekannter Persönlichkeiten auf, stellt darüber hinaus aber auch die generelle Frage nach dem Zusammenwirken von Politik und Kunst. „Ich wollte den wahren Oktober finden. Was ich gefunden habe, sind hundert Wahrheiten.“ Auch wenn dies keine neue Erkenntnis ist, erweist sich der Weg der Filmemacherhin dorthin als unterhaltsame Geschichtsstunde.
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