Urs Wydler ist bei seiner Ex-Frau zum Essen. Ihre Schwester und eine Bekannte sind ebenfalls zugegen. Die Teller sind gerade gefüllt, als eine wissen will, von was der Film eigentlich handle, der da gerade gedreht wird. Vom Alter, entgegnet Wydler. Auf die Frage, wie er selbst dazu stehe, entgegnet er salopp: „Bin ja mittendrin. Kann ja gar nicht dazu stehen.“
Wydler ist einer von fünf Protagonisten des Dokumentarfilms von Silvia Häselbarth Stolz, der sich mit dem Altern und dem Altsein beschäftigt. Neben dem 73-jährigen Kupferdrucker sind das der Malermeister Fredy Frey (80), seine Frau Ruth (68), die als Lehrerin arbeitet, sowie die Künstlerin Monica von Rosen (73) und Rita Maeder-Kempf (82), eine Bewegungspädagogin.
Wydlers kurios-komplexes Statement zum Status des beobachteten Subjekts ist für alle fünf Protagonisten kennzeichnend. Sie sind auf bemerkenswerte und je spezifische Weise in der Lage, sich im Prozess des Alterns zu reflektieren. Alle haben Substanzielles zu sagen, aus dem man Konsequenzen fürs eigene Altern ziehen kann.
Vor allem aber erzählen sie spannende und mitreißende Geschichten: Fredy Frey von seinem Leben als Weltenbummler, Wydler von seinen wilden Jahren in Paris, als er Spielzeuge in die Schweiz schmuggelte, Monica von Rosen davon, wie sie mit Polaroid zur Fotografin wurde. In Erinnerung bleibt ihr Sprachspiel mit dem Filmtitel: „Du hast den ganzen Tag Zeit, dich zu entfalten. Sich zu entfalten, ist etwas anderes, als faltenlos zu leben.“
Damit einher geht der Umstand, dass die Protagonisten auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Zwar wurden sie von Schicksalsschlägen nicht verschont, doch haben sie ein weitgehend gesundes und sogar aufregendes Leben geführt. Keiner hat unter Armut gelitten. Alle arbeiten noch, weil es ihnen Spaß macht oder weil sie einen vergleichsweise hohen Lebensstandard beibehalten wollen. Die Angst vor dem Altwerden ist für viele heute ja auch die Angst vor Armut. Das kommt in „Falten“ nicht zur Sprache. Es ist eher ein Film der Hoffnung, der die Angst vor dem Altwerden nimmt, und weniger ein Film, der zeigt, wie Industriegesellschaften das Altern etwa durch ihre Beschleunigung für viele zur Qual machen.
Es ist aber auch ein Schweizer Film, und die Schweiz gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Was auch heißt, eines der teuersten Länder der Welt. Was dies für alte Menschen bedeutet, kommt in „Falten“ eher implizit zur Sprache. Das spricht durchaus für die Qualität des Films.