Es verheißt oft nicht Gutes, wenn einem Film das Etikett „Nach einer wahren Geschichte“ vorangestellt ist. Es haftet ihm der Ruch einer präventiven Rechtfertigung an. Was jetzt kommt, ist unglaubwürdig oder sonstwie überkonstruiert, doch egal: Es ist ja in Wirklichkeit passiert. In Marc Rothemunds „Mein Blind Date mit dem Leben“ hätte man den obligatorischen Satz allerdings getrost hintanstellen können, als Hinweis auf die gleichnamige Autobiografie von Saliya Kahawatte. Denn „Mein Blind Date mit dem Leben“ funktioniert gänzlich autark, auch ohne Warnhinweis.
Mit am Schwierigsten ist das Händeschütteln. Und das In-die-Augen-Sehen. Sali hat es zu Hause trainiert, gemeinsam mit seiner Schwester. Nach dem Abitur will er Hotelfachmann werden – trotz seiner schweren Sehschwäche. Nach einer Notoperation der Augen sind ihm nur noch fünf Prozent seiner Sehkraft geblieben – was bestenfalls Umrisse in einem Grauschleier erlaubt und im Film gelegentlich recht anschaulich visualisiert wird. Sali sieht fast nichts. Trotzdem hat er das Gymnasium geschafft. Er hat eigene Merksysteme entwickelt und sein Gedächtnis trainiert. Der Erfolg gibt ihm den Mut, seinen Traum von der Arbeit im Hotel weiter zu verfolgen. Er bewirbt sich in einem der besten Häuser, dem Bayerischen Hof in München. Gegen die Herausforderungen, die dort auf ihn zukommen, nimmt sich das Abitur geradezu simpel aus.
Marc Rothemund knüpft mit „Mein Blind Date mit dem Leben“ an seine Teenie-Komödie „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ (2009,
(fd 40 065)) an. Hier wie dort spielt Kostja Ullmann die männliche Hauptrolle. Beide Filme zeichnen sich auch durch eine für deutsche Mainstream-Komödien außerordentlich seltene Leichtigkeit aus. Regie wie Buch (Oliver Ziegenbalg, Ruth Thoma) balancieren Tragik und Komik geschickt aus. Der Protagonist, aber auch wichtige Nebenfiguren verfügen über Galgenhumor, der für sehr witzige Momente sorgt und aufkeimende Rührseligkeit schnell relativiert.
Neben Ullmann und Jacob Matschenz als Freund und Kollege Max ist das Hotel der dritte Hauptdarsteller. Beim Bayerischen Hof schwingt stets auch Helmut Dietls Kult-Serie „Kir Royal“ (1985) mit, wenn Sali, seine Schritte zählend, durch Gänge, Zimmer und über Prachttreppen steuert. Oder eine Frau in ihrer Suite plötzlich die Hüllen fallen lässt, Sali aber darauf nicht reagiert, weil er sie gar nicht sieht, sondern nur leicht irritiert und vollendet höflich seine Tätigkeit vollendet. Überhaupt erinnert das ungleiche Paar Max und Sali beim Schlagabtauch immer wieder an das berühmte Vorbild Baby Schimmerlos und Herbie Fried.
Hotelfilme, von Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ (fd 8448) über „Shining“
(fd 22 670), „Lost in Translation“
(fd 36 315) bis zu Jessica Hausners „Hotel“
(fd 37 671), stellen ein eigenes Subgenre dar. Oft stehen die Gäste und ihre Sehnsüchte, ihre Alltags und Lebensfluchten im Fokus. Fokussiert die Handlung hingegen auf die Mitarbeiter, geraten diese häufig in den Sog der Gäste oder anderer Kräfte, die sich um den ebenso anonymen wie intimen Ort zusammenballen. Bei Marc Rothemund wird das Hotel als lebendiger Organismus charakterisiert, wobei der Film zugleich eine Hommage an die unsichtbaren Geister ist, die mit höchster Perfektion alles am Laufen halten. Sali und die anderen Auszubildenden durchlaufen alle Stationen, vom Zimmerservice über die Küche bis zum Restaurant. Besondere Schwierigkeiten bereiten ihm die Schneidemaschine in der Küche und die Gläser im Restaurant. Es will ihm einfach nicht gelingen, sie perfekt zu polieren, doch Johann von Bülow als unerbittlicher Restaurantchef, der wie die meisten Vorgesetzten und Kollegen nichts von Salis Handicap weiß, zwingt ihn ein ums andere Mal, den Vorgang zu wiederholen.
Eher eine Schwäche des Films ist es, dass Salis Vater unsympathisch überzeichnet wird und es gegen Ende noch einmal eine dramatische Wende gibt. Dies wäre gar nicht nötig gewesen und wirkt eher aufgesetzt. So wie die Verortung im wirklichen Leben zu Beginn.