Ein Familienfest auf einem Ausflugsschiff. Der Vater feiert Geburtstag. Markus ist da, mit seiner Frau Monika und seinem kleinen Sohn Adam. Er hat – und sucht – ein eher distanziertes Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie, im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder, dessen Nähe zu den Eltern er ironisch abwertet. Schon in den ersten Minuten von Florian Eichingers „Die Hände meiner Mutter“ wird deutlich, dass der Titel hier nichts Warmes, Gutes verheißt.
Thomas Vinterberg hat mit „Das Fest“
(fd 33 486) dieses Subgenre begründet und gleichzeitig einen Meilenstein gesetzt. In der Familie erfahrene Verletzungen, Gewalt, Verdrängtes und Geheimgehaltenes, lange Zurückliegendes, drängt an die Oberfläche, durch eine Art Reenactment, eine temporäre Wiederherstellung der alten Strukturen und Rollen.
Formal weniger streng als „Das Fest“, taucht der Regisseur psychologisch tief in einen dysfunktionalen, zutiefst gestörten Familienkosmos ein. „Die Hände meiner Mutter“ ist der letzte Teil einer Trilogie über die Folgen familiärer Gewalt. „Bergfest“
(fd 39 954), der erste Teil, Eichingers Langfilmdebüt, war ein Kammerspiel auf einer Berghütte, allerdings unter ähnlichen Vorzeichen. Ein Sohn begegnet seinem Vater nach acht Jahren wieder, die Freundinnen der beiden sind mit dabei, die Verwerfungen der Vergangenheit brechen sich erneut Bahn. Es folgte „Nordstrand“
(fd 42 150): Zwei Brüder kommen im familiären Haus auf einer Nordseeinsel zusammen. Nach und nach entfaltet sich ein Familiendrama. Die Mutter sitzt im Gefängnis, da sie den Vater umgebracht hat. Dieser wurde immer wieder gewalttätig, vor allem gegen einen der beiden.
Nun ein richtiges Fest, mit Reden und allem, was dazu gehört. Markus erklärt seinem kleinen Sohn anschaulich die Strukturen, die sich innerhalb eines solchen Rahmens offenbaren. Das Fest und damit die Familie seien wie ein Kasperltheater: Es gebe den Kasperl, den Polizisten, die Prinzessin und so fort. Er lässt Adam zuordnen. Das ist ein witziger und gleichzeitig wahrhaftiger, beklemmender Moment. Solche Augenblicke, in denen sich der Abgrund dicht hinter der Ironie auftut, gibt es mehrere.
Als Adam mit Markus’ Mutter auf die Toilette geht, trägt er eine kleine Wunde an der Stirn davon. Dieser Vorfall und vor allem der Umstand, wie die Mutter ihn abtut, wecken in Markus Erinnerungen an Vorfälle, die er lange Zeit erfolgreich verdrängte: an den Missbrauch durch die eigene Mutter.
Hier rührt Eichinger an ein filmisch lange nicht thematisiertes Tabu. Rosa von Praunheim hat es in „Härte“
(fd 43 032) ziemlich schonungslos visualisiert, in der Verfilmung der gleichnamigen Autobiografie des Ex-Zuhälters und Kampfsportlers Andreas Marquardt.
Markus erzählt seiner Frau davon, er schreibt seiner Mutter einen Brief, diese schenkt ihm bizarrer Weise eine Uhr. All das genügt aber nicht. Markus sucht einen Therapeuten, was gar nicht so einfach ist, er wird in seinem Job beurlaubt, er spricht mit anderen Familienmitgliedern.
Eichinger zeigt den Weg seines Protagonisten naturalistisch, aber ohne jeden Hang zum Voyeurismus. Dies stellt auch der Kunstgriff der Rückblenden in die Kindheit unter Beweis. In den Missbrauchsszenen gibt es keinen Kinderdarsteller; der Hauptdarsteller Andreas Döhler spielt sich selbst als Kind. Das ist sehr befremdlich und eindringlich zugleich. Die Erinnerung ist schließlich nicht mit gewachsen – sie ist soeben erst wieder aufgetaucht. Döhler löst diese Herausforderungen überzeugend, er trägt den Film, gerade auch dann, wenn die Inszenierung ins Exemplarische, allzu Thesenhafte abzurutschen droht.
Am Ende scheint es nur einen Ausweg zu geben. Um mit dem Tabu zu brechen, muss Markus sich ihm nicht nur selbst stellen. Sondern auch alle anderen, die beteiligt waren und beteiligt sind. Das ist schmerzhaft; das wird schmerzhaft.