Ein Moment der Unachtsamkeit, und schon ist nichts mehr so, wie es vorher war. Jessie und Mark haben ihren kleinen Sohn verloren, in einem unbeobachteten Moment ist er in der Badewanne ertrunken. Ein tragisches Unglück, das die Eltern in tiefe Trauer stürzt. Um halbwegs ins Leben zurückzufinden, adoptieren sie einen fast gleichaltrigen Jungen, den achtjährigen Cody. Cody ist sensibel und schüchtern. Trotzdem schließen ihn seine neuen Eltern ins Herz. Auch für seine Angst vor dem Zubettgehen haben sie Verständnis. Schließlich ist dies seine erste Nacht in einem neuen Zuhause.
Doch kaum ist Cody eingeschlafen, passiert etwas Seltsames, Mysteriöses, Unerklärliches: Wunderschöne, große Schmetterlinge flattern durchs Wohnzimmer und schmücken es für wenige Momente mit ihren kräftigen Farben. Im Nu ist der Zauber wie Pulverstaub verflogen. In der nächsten Nacht steht plötzlich der tote Sohn vor den erstaunten Eltern. Spätestens jetzt wird ihnen klar: Codys Träume nehmen reale Gestalt an. Allerdings gilt das auch für seine Albträume. Cody traut sich kaum noch zu schlafen, und mit einem Mal ist einer seiner fiesen Mitschüler spurlos verschwunden. Jessie ahnt, dass sie das Geheimnis des Jungen lüften muss, wenn sie nicht selbst zum Opfer seiner Dämonen werden will.
Drama? Horror? Psychothriller? Regisseur Mike Flanagan verweigert sich bewusst den Genrezuordnungen und erzählt zunächst eine Geschichte von Trauer und Verlust. Jessie und Mark geben sich die Schuld am Tod ihres Sohnes. Ihre Ehe droht an ihrem Kummer zu zerbrechen. Doch mit dem Einbruch des Fantastischen in ihre Alltagswelt schöpfen sie neue Hoffnung. Eine wie auch immer geartete Inkarnation ihres Sohnes, die auch nur ein Abbild sein könnte, lindert ihre Trauer. Gern überlassen sie sich der Illusion, ihn zumindest für die Dauer von Codys Träumen „wiederzuhaben“, als Ersatz oder als Stellvertreter.
So ist auch die Selbstverständlichkeit zu erklären, mit der sie die übernatürlichen Vorgänge in ihrem Wohnzimmer akzeptieren. Das führt zu einigen poetischen, magischen Bildern. Besonders bei der „Invasion“ der Schmetterlinge oder dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum, der ebenso schnell verschwindet wie er gekommen ist, wähnt man sich mitunter in einem märchenhaften Disney-Film.
Mit der Zunahme von Codys Horrorvisionen platzt jedoch der Traum von der perfekten Familie. Der Film wird immer düsterer. Ein realer Dämon, von Cody „Kinker Man“ genannt, verschlingt die Menschen, und plötzlich bewegt sich „Before I Wake“ im Fahrwasser von „The Babadook“
(fd 43 075), der sich, mit kleinen Abweichungen, einer ähnlichen Geschichten bediente. Dabei ist der computeranimierte „Kinker Man“ mit seiner grauen, formlosen Gestalt und dem riesengroßen Maul ein furchterregendes Monster, das angenehm altmodisch und effektiv Angst und Schrecken verbreitet.
Jessies Recherche hingegen folgt den Regeln des Detektivfilms. Sie spricht mit anderen Adoptiveltern, durchwühlt Archive von Hospitälern und Heimen. Woher stammen Codys Projektionen und Träume? Was bedeuten sie? Was haben sie mit dem verzweifelten, mit einer Pistole hantierenden Mann zu tun, der im kurzen Prolog zu sehen war? Immer gefährlicher werden die Antworten, bis die Handlungsstränge in einem turbulenten Showdown zusammenfinden. So verknüpfen sich Krimispannung, Grusel und gelegentliche Schocks zu einer packenden Fantasie, die sich irgendwo zwischen Märchenhaftigkeit und Psychoanalyse bewegt. Ein ungewöhnliches Spannungsfeld, und gerade deswegen so unterhaltsam und sehenswert.