Die First Lady sieht aus wie das „Final Girl“ aus einem Horrorfilm: Blut klebt im Gesicht, in den Haaren, auf dem pinkfarbenen Chanel-Kostüm. Die Berater drängen die traumatisierte Frau, die Garderobe zu wechseln. Jackie aber will absolut nicht: „Let them see what they have done!“ Das, was gesehen werden soll, ist in Pablo Larraíns kunstvoll elliptischem Biopic fortan Gegenstand von Überlegungen, Konflikten und Verhandlungen. Denn es geht vor allem um die Mechanismen der Bildproduktion und, damit verbunden, um die Frage des Vermächtnisses, des Erbes – und um nichts weniger als um den Platz in der Geschichte.
Erzählerischer Rahmen ist ein ausführliches Interview, das die Präsidentenwitwe eine Woche nach der Ermordung von John F. Kennedy mit einem Reporter des „Time Magazine“ führte. Davon ausgehend, entfalten sich Rückblenden: zum Attentat, der Rückkehr ins Weiße Haus, den Beerdigungsvorbereitungen, der Beisetzung auf dem Nationalfriedhof Arlington. Eine zentrale Rolle – die einzige „Episode“ aus der Zeit vor der Ermordung Kennedys – nimmt außerdem eine von Larraín nachinszenierte Fernsehaufzeichnung ein. Am 14. Februar 1962 führte die Präsidentengattin durch das Weiße Haus, das sie mit Hilfe eines französischen Versailles-Restaurators mit Besitztümern ehemaliger US-Präsidenten zu einem beispiellos geschichtsträchtigen Ort aufgewertet hatte. Mehr als 50 Mio. Amerikaner verfolgten damals die Sendung (und die telegene Jacqueline Kennedy erhielt dafür einen „Emmy Award“).
Die wahre Jackie Kennedy hinter dem öffentlichen Bild bzw. der weinenden, zitternden, dauerrauchenden, den „Time“-Reporter mal einwickelnden, mal von oben zurechtweisenden Nachlassverwalterin sucht man im englischsprachigen Spielfilmdebüt des chilenischen Filmemachers vergebens. Jackie ist eine immer schon vermittelte, inszenierte, gestaltete Figur, die ihre Ikonizität mit jedem Blick, jeder Geste performativ erzeugt. Larraín übersetzt diese Prämisse in eine konsequent überformte, hyperkontrollierte visuelle und akustische Sprache – vom beunruhigenden Score von Mica Levi über die auf starke Kontraste setzende Farbgestaltung bis zu den geometrisch komponierten Kameraeinstellungen mit ihren Wechseln aus statisch anmutenden Frontal- und Profilansichten.
„Geschichte ist gnadenlos. Keine Zeit!“, sagt Jackie einmal resignierend. Keine Zeit, um so groß zu werden wie der große Abraham Lincoln. Darunter aber soll es nicht gehen, Lincoln ist die Marke, an der sie sich orientiert – wer kennt schließlich die Namen der anderen beiden ermordeten US-Präsidenten? Keine Zeit hat Jackie auch, um am Vermächtnis zu arbeiten – nur zwei Stunden nach Kennedys Ermordung wird Lyndon B. Johnson noch an Bord der Air Force One als neuer Präsident vereidigt, mit seinen Koffern steht er praktisch schon vor dem Weißen Haus. Die Beerdigung als letzte Auftrittsmöglichkeit wird so zum umkämpften Terrain zwischen Jackies Bestreben, sich mit einer monumentalen Inszenierung in die Geschichtsbücher zu schreiben und den Sicherheitsinteressen der Regierung, zwischen denen, die noch da sind und denen, die schon da sind. Welcher Friedhof ist angemessen („He deserves more!“), wie viel Bühnenzeit liegt zwischen Einsegnungshalle und Friedhof: die Beerdigung als Repräsentationstheater.
Etwas unglücklich versucht der Film im letzten Teil, die Motive für Jacqueline Kennedys Groß-Inszenierung zu ergründen und auf eine andere Wirklichkeitsebene zu wechseln. Im Gespräch mit dem irischen Priester Joseph Leonard wird es psychologisierend, Jackie hadert, wirft moralische Fragen auf, windet sich, schaut nach innen. Der Film aber ist zu diesem Augenblick längst in seiner erschlagend perfekten Form erstarrt. Es gibt daraus kein Entkommen.