Der schon im Jahr 1880 erschienene Roman „Ben Hur“ von Lew Wallace besitzt vieles, was einen Bestseller auch nach heutigen Maßstäben auszeichnet: Freunde fürs Leben, die das Schicksal zu Feinden macht und nach Jahren der Trennung als tödliche Rivalen wieder zusammenbringt; große historische Tableaus, in der despotische Römer ihre Kolonien dominieren; Familien, die auseinandergerissen werden, um sich nach vielen Jahren wiederzufinden; das Motiv der Rache, das Menschen zum Äußersten treibt; einen sportlichen Wettkampf, der neben dem Krieg ein probates Mittel zu sein scheint, um zwischenmenschlichen Zwist zu bereinigen. Und schließlich die größte Geschichte aller Zeiten: die des aramäischen Wanderpredigers, der zum Messias avancierte, um nicht nur die Juden zu retten, sondern auch die Rachsucht eines jüdischen Fürsten zu bändigen, der die Römer aus Judäa vertreiben wollte: Judah Ben Hur.
Die filmischen Qualitäten des Stoffes wurden bereits 1907 erkannt; 1925 verwandelte Fred Niblo die Story mit riesigem Budget, Material- und Menschenaufwand in ein zweieinhalbstündiges Epos
(fd 23 363); und mehr als drei Jahrzehnte später variierte sie William Wyler in einem fast vierstündigen Unterhaltungsdrama (fd 9589), das als eines der gewaltigsten filmischen Werke in die Geschichte eingegangen ist.
Nichts ist klein und bescheiden, wenn man an „Ben Hur“ denkt, und dennoch handelt der Film von Vergebung, Gnade, Liebe und Läuterung sowie einer Welt in Frieden. Bezeichnenderweise ist es auch ein anderes „Detail“, weshalb „Ben Hur“ unsterblich geworden ist: das Wagenrennen! Lasst uns einen neuen Film über dieses Wagenrennen machen, haben sich die Produzenten wohl gedacht, als sie den monumentalen Historienschinken ein weiteres Mal in Angriff nahmen. So beginnt der neue „Ben Hur“ auch nicht mehr mit der Geburt von Jesus in Bethlehem, sondern mit dem Einritt der Quadriga von Ben Hur und Messala in den Circus Maximus. Als sich die beiden Männer auf gleicher Höhe befinden, raunt der eine dem andern sinngemäß zu: „Du hättest mich töten sollen“, worauf der zu Antwort erhält: „Das werde ich jetzt!“
Es ist einer der Prologe, wie man ihn im Genrekino augenblicklich gerne macht, um dann zunächst eine ganz andere Geschichte zu erzählen. So dreht auch Regisseur Timur Bekmambetov die Uhr zurück und rekapituliert die Story von Judah Ben Hur und seinem Adoptivbruder Messala, wie sie als beste Freunde Spaß haben, herumbalgen und Frauen nachstellen. Doch allzuschnell ziehen über dieser Männerfreundschaft dunkle Wolken auf. Messala fühlt sich als Andersgläubiger nicht wirklich geborgen im jüdischen Aristokratenhaus. Ihn zieht es ins römische Militär, wo er als Söldner Karriere macht, um schließlich als Adlatus von Pontius Pilatus nach Judäa zurückzukehren. Ben Hur kokettiert derweil mit rebellischen Kräften, die Rom feindlich gesinnt sind. Ausgerechnet vom Dach seines Hauses geschieht ein Attentat auf den Statthalter – und aus den Brüdern von einst werden Feinde fürs Leben. Als Galeerensklave lernt Ben Hur hassen, bis ihn ein Wunder an die Gestade des reichen afrikanischen Scheichs Ilderim spült, seinem späteren Mentor. Dann ist die Rückblende vorbei, und die Quadrigas rauschen in die Arena.
Bekmambetov gibt sich sichtlich Mühe, den aussichtslosen Kampf der Schauwerte mit den Vorgängern aus dem Jahr 1925 und 1959 wacker über die Bühne zu bringen. Mit echten Schauspielern auf den Wagen und leibhaftigen Pferden im Geschirr bleibt er weit über dem heutigen Standard der totalen Computeranimation bei Actionszenen. Doch das, was er damit (auch mit Hilfe der Computers) anstellt, ist allenfalls ein müdes Lüftchen im Vergleich zu den Orkanen der Vorbilder. Das ist symptomatisch für den knapp zweistündigen Film. Allzu formelhaft und mit viel zu viel Respekt quälen sich die wenig charismatischen Schauspieler durch die eherne Vorlage. Den Machern steht der Sinn nach Familienfilm und so schrecken sie auch vor einem schalen Happy End im gebeutelten Familienverbund von Ben Hur nicht zurück.
Und Jesus? Immerhin führten die Vorgänger noch „A Tale of the Christ“ im Untertitel. Im 21. Jahrhundert aber hat Scheich Ilderim den Part des weisen Mannes inne, der Ben Hur trainiert und aus dem Zorn die Intelligenz hervorkitzelt. Ganz wollte man auf den Nazarener dann aber doch nicht verzichten und hat ihn in die vielen dramaturgischen Lücken gepresst. Nun darf er immer mal wieder erscheinen und Ben Hur am Ende den rechten Weg weisen, geläutert und frei von Hass. Alles das wirkt wie Stückwerk, wie ein Treatment für einen großen Film. Aber den gibt es ja schon!