Das Jahr 1929. Jeder Verlag in New York hat sein Manuskript abgelehnt. Zu dick, zu ausufernd, zu überschäumend. Als Thomas Wolfe, der 29-jährige Autor aus einem Provinzkaff in North Carolina, an diesem Tag an dem Verlagsgebäude von „Charles Scribner’s Sons“ hochschaut, ist er für eine weitere Enttäuschung gewappnet. Er ahnt nicht, dass er das Interesse des Lektors Max Perkins geweckt hat. Noch im Zug hatte der auf dem Weg nach Hause die ersten Seiten gelesen – und nicht mehr aufhören können. Perkins weiß, dass er es mit einem großen Roman zu tun hat. Doch 1100 Seiten sind zuviel. Darum setzt er sich mit Wolfe zusammen, um ein Viertel zu kürzen.
Ein Kampf um Worte, Sätze und Abschnitte beginnt, den Wolfe widerwillig und doch einsichtig annimmt. Auch ein neuer Titel muss her, und so wird aus „O Lost“ „Schau heimwärts, Engel“. Kaum erschienen, ist die erste Ausgabe mit 15.000 Exemplaren auch schon verkauft – Wolfe avanciert zum neuen Star am Literaturhimmel. Privat ist er häufig Gast in Perkins' großzügigem Heim und unterhält die Familie mit den fünf Töchtern mit lauten, ungezügelten Wortkaskaden. Er hat auch schon seinen nächsten Roman fertig, 5000 handschriftlich verfasste Seiten, die erst abgetippt werden müssen: „Von Zeit und Strom“. Wieder verlangt Perkins starke Kürzungen. Doch diesmal dauert die Arbeit erheblich länger.
Bereits der Titel von A. Scotts Bergs Biografie „Max Perkins: Editor of Genius“, auf dem der Film beruht, lässt im Unklaren, welches Genie hier gemeint ist. Das von Thomas Wolfe, der leidenschaftliche Schriftsteller mit der unbändigen Fantasie, die scheinbar spielerisch Impressionen, Erinnerungen und Assoziationen in Worte kleidet. Oder das des Lektors, der pragmatisch und schlicht die Lesbarkeit (und somit die Kommerzialität) des Buches fördert. Das Drehbuch von John Logan findet dafür eine emblematische Szene. Wortreich, über mehrere Seiten hinweg, beschreibt Wolfe die Begegnung eines Mann und einer Frau. Perkins kürzt: „Eugene sah eine Frau. Ihre Augen waren blau. So schnell zersprang sein Herz für sie, dass niemand im Raum das Geräusch vernahm.“
Natürlich ist Wolfes lange Passage schön zu lesen. Doch die Essenz bleibt auch nach der Streichung erhalten. Selten hat sich ein Film so klarsichtig Gedanken über die notwendige Arbeit des Lektors gemacht, der – auch das thematisiert Regisseur Michael Grandage – stets an seinen Eingriffen zweifelt: Verbessert er wirklich den Roman? Oder beschneidet er unnötig die Kreativität des Autors?
Das erinnert an Raymond Carver, dessen Kurzgeschichten aus „Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden“ von seinem Lektor Gordon Lish gnadenlos gekürzt wurden – sehr zum Leid des Autors, der die Streichungen als Versagen erlebte.
„Genius“ hält diese Kluft zwischen überbordender Fantasie und pragmatischer Vernunft aufrecht und vertieft sie noch durch Wolfes Geliebte Aline Bernstein (von Nicole Kidman überspannt gespielt), die Perkins eifersüchtig und misstrauisch Ruhmsucht unterstellt. Dann findet Wolfe eine bestechende Parallele zwischen Literatur und Jazz. In einem Jazzkeller bittet er die Musiker, den schottischen Folksong „Flow Gently Sweet Afton“ zu spielen, das einzige Lieblingslied des unmusikalischen Perkins. Aus dem Traditional wird eine wilde, improvisierte Tanznummer – so wie Wolfe althergebrachten Worten einen neuen Klang verleiht.
Für den Film gilt diese Parallele aber nicht. Dafür hat Grendage, ein versierter Theaterregisseur, „Genius“ zu konventionell in Szene gesetzt und zuviel Wert auf die perfekte, detailfreudige Ausstattung und das Kostümdesign gelegt, die die Atmosphäre des „Jazz Age“ in New York wieder aufleben lassen. Während Jude Law als exzentrischer, stets unter Strom stehender Wortzauberer und Colin Firth als gelassener, stets Hut tragender Ruhepol ihre gegensätzlichen Charaktere mit geschliffenen Dialogen aufeinanderprallen lassen, geraten andere Figuren – der weinerliche F. Scott Fitzgerald, der unsensible Ernest Hemingway, die vernachlässigte Ehefrau – zu Stereotypen, die den Film mitunter aus dem Gleichgewicht bringen. Etwas mehr Vielschichtigkeit in der Figurenzeichnung, etwas mehr Mut in der Inszenierung – und „Genius“ wäre als Filmbiografie rundum geglückt.