Neugier und Angst verbinden sich, als Maureen ein altes, verlassenes Herrenhaus erkundet. Hier will die junge Frau die Nacht verbringen, um das Jenseits zu kontaktieren. Nur eine Taschenlampe dient ihr als Beleuchtung, als plötzlich hinter ihr aus dem Dunkel ein Lichtschatten auftaucht. Er bewegt sich ständig, zeigt bald vage ein Gesicht, dann einen Körper. Ein Geist, ganz offensichtlich.
Fast in jedem Bild von Olivier Assayas' Film ist Maureen, gespielt von Kristen Stewart, zu sehen. Sie ist ein „Personal Shopper“, jemand der im Dienst einer nicht näher definierten Pop-Berühmtheit namens Kyra Markenkleidung, Schmuck und andere teure Waren für werbewirksame Auftritte ausleiht. Solche „Personal Shopper“ sind „Body Double“ anderer Art, Avatare des realen Lebens, die für den Star allerlei erledigen. Die stressige Tätigkeit ermöglicht der 27-Jährigen ein glamouröses Leben, wobei sie sich in dem fremden Leben gewissermaßen als Stellvertreterin einzurichten vermag. Sie lebt es nicht ganz, nur ein bisschen, und das passt ihr offensichtlich gut, weil sie so dem eigenen, „eigentlichen“ Leben ausweichen kann.
Assayas setzt damit früh sein Thema: die Infragestellung von Identitäten und das Motiv des Doppelgängers. So sehr Maureen wie zu allem auch zu Kyra Distanz pflegt, so sehr gibt es eine klammheimliche Verschmelzung. Später sieht man sie, wie sie verbotenerweise die geliehene Kleidung ausprobiert, in Kyras Bett übernachtet, sich darin sexuell befriedigt. Wobei nie klar wird, an wen sie dabei denkt: an Kyra, deren Liebhaber Ingo oder ihren eigenen Geliebten, mit dem sie den Film über nur eine Fernbeziehung führt. Ihre Schwäche ist das Begehren, das Kosten an Dingen, die anderen vorbehalten sind. Es ist der Märchenglaube an die Ausstrahlung der Objekte, ihre stabilisierende, rettende und heilende Kraft. Maureen weiß um die Gefährlichkeit dieses Glaubens: Sie durchschaut ihn, sagt: „Kein Begehren ohne Furcht.“ Es geht also um Fetischismus. Assayas versteht und verteidigt ihn, seine Bilder feiern ihn.
Zentraler Motivstrang sind die Medien: Medien als ironisch-skeptische Reflexion der Mode- und Celebrity-Kultur sowie als Gegenstand sarkastischer Abrechnung, weil sie diese transportieren. Ebenso geht es um Menschen als „Medien“, als Empfangsstationen für Stimmen aus dem Jenseits. Hintergrund der Auftaktszene ist, dass Maureen davon überzeugt ist, ein solches Medium zu sein. Kurz zuvor starb ihr Zwillingsbruder an einem Herzfehler, den auch sie geerbt hat. Die Geschwister gaben sich das Versprechen, im Fall des Todes einander „ein Zeichen“ zu senden – der Kontakt soll ihr helfen, den Verlust zu verarbeiten und zugleich die Angst vor ihrem eigenen Tod zu besiegen.
Mit Maureen taucht der Film in die Kulturgeschichte der Geisterseher ein, des Spiritismus und der Parapsychologie. Hochspannend sind die verbürgten Episoden, die Assayas mit Maureens Augen erzählt: von Victor Hugos regelmäßigen „Gesprächen“ mit Shakespeare oder Jesus Christus, oder von Hilma af Klint, die darauf bestand, dass ihre um 1900 entstandenen abstrakten Gemälde durch sie von einem Geist gemalt worden seien.
In einer Szene bündeln sich alle Motive: Während einer Zugfahrt durch den Kanaltunnel wird Maureen von einem Unbekannten via SMS kontaktiert, einem Geist? Trotz Zweifel lässt sie sich auf einen Austausch ein, sogar ein Treffen wird anvisiert, doch bevor es dazu kommt, wendet sich das Geschehen in ein Mord- und Raubkomplott. So mischt Assayas stilistisch virtuos und souverän Geister-Horror mit einer Fortsetzung seines Films „Die Wolken von Sils Maria“
(fd 42 796): ein Psychothriller über Identität, Erinnerung und Trauerarbeit, zugleich philosophische Reflexion darüber, wie rational die Welt verfasst ist. Für den Agnostiker Assayas geht es nicht um Esoterik, sondern um den Anteil des Fantastischen wie auch des Unterbewussten an unserem Alltag. Maureens zentraler Wesenszug ist nicht Einsamkeit, Trauer oder ihre unbestimmte Angst – es die Distanz. Sie ist ein Medium, weil sie bereit und fähig ist, sich auf nahezu alles einzulassen: durchlässig, transparent, offen für die Welt. In ihrer Wandlungsfähigkeit gleicht sie einem Chamäleon, doch die „dunkle Seite“ ist, dass sie sich selbst verloren geht. Ihr wunder Punkt, der sie für Manipulationen anfällig macht, ist nicht allein der Geisterglaube, sondern der Traum, dass alles möglich ist. Assayas erschafft mit ihr das archetypische Porträt einer ganzen Generation: jener Mittzwanziger des reichen Westens, denen die Welt offen steht, die auf alles neugierig und zu allem bereit sind, die aber nicht wissen wozu. Sie sind die wahren Geister unseres Zeitalters.