New York ist nicht nur Spielplatz der Hochfinanz oder die Lieblingsmetropole jener, die in Kultur oder Sport zur Elite zählen. Es ist auch ein Ort der Gestrandeten: von Menschen, die zwar noch jung sind, sich aber mit einem Leben auf dem Seitenstreifen längst abgefunden haben. Zu ihnen gehört Harley, eine Frau Ende 20, doch das Alter spielt angesichts der Drogen, die sie täglich einwirft oder spritzt, längst keine Rolle mehr. Zusammen mit einer Gruppe Gleichgesinnter, Gleichverlorener lebt sie im Freien, zwischen Central Park und jenen Ecken und (Seiten-)Straßen, aus denen man sie nicht vertreibt.
Mit Ilya verbindet sie eine Art Hassliebe. Sie kann nicht ohne ihn, auch wenn sie sein ganzes Gehabe abstößt. Man trifft sich, kifft oder spritzt Heroin und hasst die Tage, in denen das Leben zu langsam vorbeigeht. Der Tag, an dem die Lage eskaliert und sie sich die Pulsadern aufritzt, war ohnehin nur eine Frage Zeit. Ilya wollte es so: als absurden Liebesbeweis.
Man hat Harley gerettet, eine Zeit lang eingesperrt. Nun hängt sie wieder draußen rum. Mike ist ein guter Ersatz-Wegbegleiter. Er ist agil, hat Geld und dealt praktischerweise mit Drogen. Für kurze Zeit bringt er Harley auf andere Gedanken. Doch es wäre illusorisch zu glauben, dass sie von Ilya wegkäme. Vielleicht macht Ilya ja doch irgendwann sein Versprechen wahr und zieht mit ihr weiter, mit dem Bus nach Miami, wo die Sonne immer scheint.
Das letzte, was den Filmemachern Ben und Joshua Safdie mit ihrer semibiografischen Geschichte vorschwebte, war einer jener Filme, in denen das Leben den Protagonisten zwar übel mitspielt, am Ende aber alle ein wenig gereifter sind und mehr gewappnet für das, was kommt. In „Heaven Knows What“ ist nichts gut, nichts geht weiter. Und keiner lernt etwas. Es geht um Stillstand. Keiner hat hier eine Option auf Besserung. Der Karren steckt im Dreck, war nie auf der Überholspur.
Die Personen schlagen sich durchs Leben, weil es von selbst nicht aufhören will. Beziehungen sind dazu da, um das kaputte Dasein noch kaputter zu machen. Das Ziel besteht darin, nie aus der Lethargie des Drogenrauschs aufzutauchen. Harley macht zwar auch Dinge, die (normale) Menschen auch tun. Sie findet das Motorrad von Mike geil und sie liest. Ein Buch, seit Ewigkeiten; es ist ihre wirksamste Schlaftablette. Das Motorrad ist nach der nächsten Tablette ebenfalls schon wieder vergessen.
Mit solchen Befindlichkeiten ist „Heaven Knows What“ ein Film, der vom Zuschauer alles fordert: Er ist unbequem und ohne Hintertür. Eine Katharsis findet nicht statt. Gleichwohl vermag er zu überraschen, weiß sogar zu begeistern. Kameramann Sean Price Williams hält sein Objektiv ganz dicht auf das Geschehen, ohne unruhig zu werden. So improvisiert die Aktionen der trefflichen Darsteller damit auch erscheinen, so übersichtlich und bedacht sind die Bilder. Diese Intimität wirkt fast schon befremdlich filmisch.
Und dann die Musikauswahl: Neben flirrenden Dance-Beats umfasst der Score Stücke von Isao Tomita, spacige Synthesizer-Arrangements von klassischen Konzertstücken. Vier Stücke aus dem 1974 entstandenen „Snowflakes are Dancing“ sind in die Tonspur verwoben. Wenn einmal kurz „Clair de Lune No. 3“ ertönt, gewinnt die bittere Szenerie eine fast schon surreale Anmutung.