Ein junger Marokkaner lebt mit drei Prostituierten in einer Wohngemeinschaft, die ihnen Schutz und einen Rückzugsort bietet. Nacht für Nacht fährt er die Frauen zu Partys und Hotels, wo sie den Freiern Lust vorgaukeln, obwohl sie erniedrigt und missbraucht werden. Das mit rauen Dialogen und wackeliger Handkamera inszenierte Drama fokussiert auf gesellschaftliche Heuchelei, Bigotterie und Doppelmoral. Stereotype Zuspitzungen und die psychologisch zwar wenig ausgearbeiteten, aber von großartigen Laiendarstellerinnen gespielten Frauen lassen den Film als soziale Allegorie verstehen, auch wenn die Inszenierung mitunter unentschlossen zwischen sozialkritisch-politischen und poetisch-märchenhaften Absichten changiert. Voyeuristisch ist er keineswegs, weil er hinter der professionellen Fassade echte Gefühle sichtbar macht. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
Much Loved
Drama | Frankreich/Marokko 2015 | 104 Minuten
Regie: Nabil Ayouch
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Filmdaten
- Originaltitel
- MUCH LOVED
- Produktionsland
- Frankreich/Marokko
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Les Films du Nouveau Monde/New District/Barney Prod./Ali n' Prod.
- Regie
- Nabil Ayouch
- Buch
- Nabil Ayouch
- Kamera
- Amine Messadi
- Musik
- Mike Kourtzer
- Schnitt
- Damien Keyeux
- Darsteller
- Loubna Abidar (Noha) · Asmaa Lazrak (Randa) · Halima Karaouane (Soukaina) · Sara Elhamdi Elalaoui (Hlima) · Abdellah Didane (Saïd)
- Länge
- 104 Minuten
- Kinostart
- 14.04.2016
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Drei marokkanische Prostitutierte aus Marrakesch tragen ihre Haut zu Markte.
Diskussion
Marrakesch gilt innerhalb der arabischen Welt als Tummelplatz für Sextouristen. In den Augen religiös-konservativer Kreise ist die marokkanische Metropole damit zum Hort des moralischen Niedergangs verkommen. Regisseur Nabil Ayouch scheint das ganz ähnlich zu sehen. Die Sexpartys, die seine Huren-WG in „Much Loved“ mit reichen Saudis oder Franzosen feiert, inszeniert der in Paris geborene Filmemacher als dekadente Orgien. Da krabbeln die Prostituierten im „9 ½ Wochen“-Stil dem Geld hinterher, und ein Scheich wirft einen Edelstein in den Pool, damit die halbnackten „Schlampen“ gierig nach der Beute tauchen.
Es sind aber weniger der käufliche Sex und schon gar nicht die Prostituierten, die Ayouch ins moralische Visier nimmt. Es sind vielmehr die gesellschaftliche Heuchelei und Doppelmoral. Die nach außen strenggläubigen Saudis lästern über das „tote Fleisch“ ihrer Frauen, verachten aber zugleich die Huren, mit denen sie sich amüsieren. Die marokkanische Polizei lässt sich dafür bezahlen, dass sie wegsieht. Beim Verhör wird Noha, die Anführerin des Hurentrios, von einem Polizisten vergewaltigt. Hinterher lässt er quasi zum Dank eine Anzeige unter den Tisch fallen. Ungerechtigkeit und Bigotterie beschränken sich aber nicht auf Behörden, Touristen, Freier oder Männer. Sie reichen vielmehr bis weit in die einfache Bevölkerung hinein. Nohas Mutter, eine traditionelle Muslimin, zieht Nohas kleinen Sohn groß. Bei jedem Besuch lässt sie ihre Tochter spüren, wie sehr sie Nohas Lebenswandel verurteilt. Das hält sie freilich nicht davon ab, immer mehr Geld von ihr zu verlangen und ihr vorzuwerfen, dass sie nicht richtig für sie sorge.
Diesem Bild einer verlogenen Gesellschaft hält Ayouch das Idyll der Gemeinschaft der Gefallenen entgegen. Obwohl der Regisseur für das Drehbuch angeblich Hunderte von Prostituierten interviewte, wirkt die plakative Darstellung wenig glaubhaft. In der Frauen-WG, in der neben Noha und ihrer Kollegin Soukaina auch noch die lesbische Randa lebt, fliegen zwar durchaus die Fetzen. Es geht auch mal vulgär zu, wenn Noha außer sich vor Wut in Randas Mixer pinkelt. Letztlich aber bilden die drei eine liebevolle Familie, zu der auch ihr schweigsamer Fahrer, Beschützer und Zuhälter(?) Said gehört. Auch die tapferen Transgender-Kollegen sind Teil dieser märchenhaften Solidargemeinschaft. Später lesen die drei Frauen dann noch Hilma von der Straße auf, eine dicklich-dümmliche Witzfigur. Zum pseudodokumentarischen Anstrich, den sich der Film mit seinen rauen Dialogen und wackligen Handkamerabildern gibt, mag das aber nicht so recht passen. Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Klischee ja das Eingeständnis, dass es sich letztlich bei allen Figuren um fiktive, stereotype Zuspitzungen handelt. Noha, Soukaina und Randa merkt man das auf den ersten Blick nicht an, weil sie von fantastischen Laiendarstellerinnen unverwechselbar lebendig verkörpert werden. Insbesondere die Leinwandpräsenz von Loubna Abidar als Noha kaschiert die dramaturgischen Unzulänglichkeiten. Dennoch fehlt den Protagonistinnen eine Vorgeschichte, sind sie psychologisch kaum greifbar.
Eher funktioniert der Film als soziale Allegorie. Ohne Wirkung in diesem Sinne bleibt er jedenfalls nicht. Die Hauptdarstellerin und der Filmemacher sollen nach der Premiere beim Festival in Cannes Morddrohungen erhalten haben. In Marokko wurde der Film verboten, da er das Ansehen des Königreichs beschädige, die marokkanischen Frauen und die Moral in den Schmutz ziehe. „Much Loved“ hat offenbar einen wunden Punkt getroffen. Authentisch muss der Film deshalb nicht sein. Seine stärksten Momente besitzt er immer dann, wenn er es nicht darauf anlegt. Etwa wenn eine asynchrone Bild-Ton-Montage mit schweren, melancholischen Klängen eine surreale Atmosphäre schafft. Oder wenn die Kamera mit den Frauen aus dem fahrenden Auto nach draußen auf die Straßen Marrakeschs blickt, in denen Moderne und Tradition sprichwörtlich kollidieren: ein Händler, der seine Karre vor sich herschiebt, stößt mit einem Auto zusammen.
Womöglich greift die Kritik, der Film sei nicht realistisch genug, ins Leere, weil er es gar nicht sein will; zumindest nicht auf buchstäbliche Weise. Die eigentliche Schwäche des Films liegt darin, dass er nicht so recht weiß, was er sein möchte: sozialkritisch, poetisch, politisch oder naturalistisch? Oder doch ein modernes marokkanisches Märchen?
Schwer nachvollziehbar ist ein anderer Vorwurf, der Ayouch eine voyeuristische Perspektive unterstellt, an der sich vor allem männliche Zuschauer erfreuen. Zwar gibt es überreichlich Szenen, in denen sich Frauen lasziv vor der Kamera winden. Sie tanzen, kreischen, kichern, flirten, als hätten sie jede Menge Spaß dabei. Doch gerade diese Freudenmädchen-Illusion lässt Ayouch nicht gelten. Manchmal genügt ein einziger gequälter Blick, um sie zu durchbrechen, oder eine kurze Szene, in der Noha hinter dem Rücken der Freier angeekelt ins Bad flieht, um ihren wunden Unterleib zu verarzten. Die voyeuristische Perspektive kippt hier in eine empathische und entlarvt die gute Laune der Huren als professionelle Fassade: ein weiterer Baustein im Mosaik der Heuchelei.
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