Seit der Islamischen Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, öffentlich zu singen, womit sich die Liedermacherin Sara Najafi nicht abfinden will: Zu Ehren der legendären iranischen Sängerin Quamar stellt sie mit Hilfe französischer und tunesischer Musiker ein Konzert auf die Beine, wobei ihr Bruder ihre jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Kulturbürokratie mit der Kamera begleitet. Der dramaturgisch spannende, lebendige und vielschichtige Dokumentarfilm zeichnet ein sehr direktes, mitunter sarkastisches Bild des Lebens unter der Mullah-Diktatur. Zugleich erzählt er viel über die iranische Gesellschaft und die Rolle der Musik als Sphäre der Freiheit. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 14.
No Land's Song
Dokumentarfilm | Iran/Frankreich/Deutschland 2014 | 95 Minuten
Regie: Ayat Najafi
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Filmdaten
- Originaltitel
- NO LAND'S SONG
- Produktionsland
- Iran/Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Chaz Prod./Hanfgarn & Ufer/Torero Film
- Regie
- Ayat Najafi
- Buch
- Ayat Najafi
- Kamera
- Koohyar Kalari · Sarah Blum
- Musik
- Hossein Alizadeh · Elise Caron · Emel Mathlouthi
- Schnitt
- Julia Wiedwald · Shokofeh Kamiz
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- 10.03.2016
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Wie die Sängerin Sara Najafi in Teheran ein Konzert ertrotzte
Diskussion
19. September 2013, abends in Teheran. Sara Najafi, eine junge Frau mit Kopftuch, steht auf einer Konzertbühne: „Ein sehr wichtiger Grund für dieses Projekt ist, dass die weibliche Stimme in Teheran in Vergessenheit geraten ist. Wie möchten sie gerne zurückbringen.“
„No Land’s Song“ ist ein Film über die Entstehung eines Konzerts, das es eigentlich nicht geben dürfte. Ayat Najafi dokumentiert den Kampf seiner Schwester Sara um einen Auftritt mit weiblichen Stimmen, eine Hommage an die legendäre iranische Sängerin Quamar, die 1924 als erste Frau im Iran vor einem großen Publikum aufgetreten ist.
Sara ist eine ebenso attraktive wie selbstbewusste Frau, bei der selbst das obligatorische Kopftuch wie ein geschmackvoll ausgewähltes Accessoire wirkt. Sie ist eine exzellente Sängerin und Liedermacherin und kämpft dafür, diese Talente auch im Iran nutzen zu können. Es war nie leicht für Sängerinnen im Iran, aber heute ist es ein Politikum. Seit der islamischen Revolution 1979 ist es für Frauen ausdrücklich verboten, in der Öffentlichkeit zu singen. Was die schiitischen Theologen gegen die weibliche Stimme haben, ist nie wirklich begründet worden. Sara Najafi allerdings will es wissen. Der Religionslehrer Abdolnabi Jafarian erklärt auf ihre Frage salbungsvoll, die weibliche Stimme könne das Gleichgewicht des Mannes beeinträchtigen. Er habe nichts gegen Frauen, aber die Reize der Musik und der weiblichen Stimme zusammen könnten den Mann sexuell erregen. Ein Stück Käse sei gut, eine Traube auch, aber beides zusammen sei vielleicht zuviel. An der jungen Frau schaut er immer vorbei, als wäre sie nicht im Raum, auch als Sara fragt, was denn der Käse mit der Musik zu tun habe.
Diese Szene ist bei aller Ernsthaftigkeit unfreiwillig komisch, ebenso wie die heimlich aufgenommenen Gespräche Saras mit den Vertretern des Musikdezernats im Ministerium für Kultur und islamische Führung. „Ich will ganz offen sein, das Regime hat ein fundamentales Problem mit der weiblichen Solo-Stimme“, hört man da, auch Ratschläge, wie die junge Frau und ihre Sängerinnen die religiöse Zensur übergehen könnten.
„No Land’s Song“ ist eine sehr direkte, mitunter gar sarkastische Bestandsaufnahme der Graustufen der Diktatur: die Religionslehrer, die Kulturbürokraten mit ihrem großen Verständnis und ihren schnellen Verboten. Sie zeigt eine Gesellschaft, die gelernt hat, mit absurden Verboten zu leben, sie zu ignorieren. Fast drei Jahre lang hat Sara Najafi für ihr Projekt gekämpft, und auch der Film ist eine Reise durch die politischen Zäsuren der iranischen Gesellschaft der letzten Jahre: die Niederschlagung der grünen Bewegung im Iran 2007, das Echo des Arabischen Frühlings 2011, die unerfüllten Hoffnungen, die sich an den Wahlsieg des Reformers Hassan Rohani bei den iranischen Präsidentschaftswahlen 2013 knüpften.
„No Land’s Song“ ist aber auch die Geschichte eines kulturellen Brückenschlags: Sara nimmt Kontakt zu französischen Sängerinnen und Musikern auf und integriert zudem die tunesische Sängerin Emel Mathlouthi, die Stimme der tunesischen Revolution, in ihr Projekt. Zwischen ihren Begegnungen über Skype, dann in Paris und schließlich in Teheran, stehen die Musikerinnen und Musiker stets unter einer andauernden Spannung zwischen Euphorie und bitterer Enttäuschung. Ayat Najafi ist mit seiner Kamera immer dabei, unauffällig, aber mittendrin. „No Land’s Song“ ist ein sehr lebendiger, vielschichtiger Dokumentarfilm, niemals belehrend, aber sehr lehrreich. Ein Film, der viel erzählt über die iranische Gesellschaft, über die Stadt Teheran und, vor allem, über ein mitreißendes Engagement für die Freiheit der Musik.
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