„Man muss nur ganz genau hingucken, dann kann man alles sehen!“, heißt es optimistisch zu Beginn des Films. Das genaue Hinschauen meint dabei das Erfassen und Auswerten endloser Zahlenkolonnen aus Kreditverträgen in einem Geschäftsbereich, der naturgemäß als absolut sicher gilt. Es geht in „The Big Short“ um das Platzen der US-Immobilienblase 2008, was eine weltweite Finanzkrise auslöste.
Eine Handvoll schrullig-durchgeknallter oder auch ambitionierter Trader setzen genau auf dieses Szenario und versuchen aus unterschiedlichsten Gründen, diese Welle Gewinn bringend zu reiten. Sie schauen hinter die vor Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung strotzende Fassade des Finanzkapitals und lernen fassungslos das Schaudern angesichts der herrschenden Moral. Und auch das Lachen darüber, denn „The Big Short“, die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Michael Lewis, ist auch eine aufgekratzte surreale Farce.
Weil die Storyline die These vom „Genau-Hinschauen“ zwar postuliert, aber Regisseur Adam McKay sich zugleich dafür entschieden hat, diese These in der Praxis des Erzählens zu dementieren, wird der Zuschauer in atemberaubenden Tempo bis zur Erschöpfung mit allerlei esoterischen Informationen und Termini über die Usancen des Kreditwesens massiert. Wer weiß schon, was unter Begriffen wie „Collateral Debt Obligations“ oder „Subprime-Darlehen“ genau zu verstehen ist? Wer käme darauf, dass Rating-Agenturen korrupt sind und auf Profit schielen? Warum sollten Journalisten, die längst Teil des Spiels sind, ihre Informanten durch unangenehme Veröffentlichungen verprellen? Information overload, Baby!
„The Big Short“ bietet einem illustren Star-Ensemble (Christian Bale, Brad Pitt, Steve Carell und Ryan Gosling) eine Plattform, dem Affen Zucker zu geben und das Publikum mit allerlei Extravaganzen zu unterhalten. Allerdings krankt der Film auch hier daran, dass jeder der vier Stars zugleich einen bestimmten Typus aus der Finanzbranche (der Autist, der Egozentriker, der Deillusionierte, der Selbstgefällige) verkörpern und darüber hinaus einen Teilaspekt der Usancen in der Branche zumindest skizzieren soll. Für die Schauspieler bedeutet dies, dass sie auf halber Strecke zwischen exemplarischem Figur und genauer ausformuliertem Charakter hängenbleiben. Als schrullige, neurotische oder auch unsympathische Figuren kommen sie auf dieser Weise aber nie so recht über die Funktion als Platzhaltern von Thesen hinaus. Ob derlei dann der politischen Aufklärung dient oder Aufklärung nur zur Unterhaltung angetäuscht wird, um dann moralisch zu argumentieren, ist die entscheidende Frage zur Beurteilung des Films. McKay geht an die Schmerzgrenze, nutzt dazu allerdings lauter formale Strategien, die einst theoretisch mit politischem Filmemachen verbunden wurden. Mit einer Ausnahme gibt es keine Identifikationsfiguren, dafür nutzt die Inszenierung aber allerlei Distanzierungsstrategien wie einen unzuverlässigen Erzähler, die Aufhebung der Chronologie in einer Vielzahl von Parallelhandlungen, hohe Schnittfrequenz mit surrealen Effekten, kurze autonome Lehrstück-Szenen mit Medien-Prominenz wie Anthony Bourdain, Margot Robbie oder Selena Gomez, eine komplexe Tonspur mit Off-Erzähler und angerissenen Dialogen, überlagert oder unterfüttert von Musik und visuell durch eine Bilderflut US-amerikanischer Medienfolklore und dokumentarischem Material.
Während der Film über weite Strecken forciert auf Sarkasmus in der Haltung zum Gezeigten setzt, staunt man nicht schlecht, wenn auf der Zielgeraden plötzlich wieder eine Moral der Geschichte herauspräpariert werden soll. Es sei schließlich nicht hinnehmbar, wenn der kleine Mann die Zeche für Freibeuter und Glücksritter zu zahlen habe; die Banken müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Eine oberflächliche und reichlich matte, weil moralische und nicht politische Botschaft, im Vergleich zur Emphase des Erzählens. Aber vielleicht dokumentiert ja „The Big Short“ die Einsicht, dass Kritik am Finanzsystem nur noch möglich ist, wenn diese Kritik gleichzeitig so unterhaltsam formuliert wird, dass sie notwendigerweise folgenlos bleibt. Wenngleich die Stars in diesem Zusammenhang durch ihr Mitwirken natürlich Flagge zeigen können, unmissverständlich, publikumswirksam und widersprüchlich.