Komödie | USA 2015 | 85 Minuten

Regie: Noah Baumbach

Eine junge Literaturstudentin entdeckt dank der ungebändigten Energie und des grenzenlosen Ideenreichtums ihrer künftigen Stiefschwester die aufregende Vitalität New Yorks. Mit der schillernden Verwandten als Hauptfigur schreibt sie eine Erzählung mit dem Titel „Mistress America“, was für ihre Freundschaft nicht ohne Folgen bleibt. Ein in ihren besten Momenten hochbeschleunigte Screwball-Comedy um zwei ungleiche Frauen, konzipiert als amüsant-verspielte Absage an Selbstoptimierung und flexible Lebensentwürfe. Für reizvolle Irritationen, Störfälle und liebenswert linkische Momente sorgt vor allem die eindrucksvolle Hauptdarstellerin und Co-Autorin Greta Gerwig. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MISTRESS AMERICA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
RT Features
Regie
Noah Baumbach
Buch
Noah Baumbach · Greta Gerwig
Kamera
Sam Levy
Musik
Britta Phillips · Dean Wareham
Schnitt
Jennifer Lame
Darsteller
Greta Gerwig (Brooke) · Lola Kirke (Tracy Fishko) · Heather Lind (Mamie-Claire) · Cindy Cheung (Karen) · Jasmine Cephas Jones (Nicolette)
Länge
85 Minuten
Kinostart
10.12.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Noah Baumbach und Greta Gerwig erkunden das Leben einer New Yorker Literaturstudentin, gespielt von Lola Kirke

Diskussion
„You can’t really want things till you’re 30“. Sagt Brooke zu Tracy, ihrer 18-jährigen zukünftigen Stiefschwester, die sie mit einer Mischung aus Zuwendung und Abgrenzung einfach nur „Baby Tracy“ nennt. Brooke, 30 Jahre alt, Fitnesstrainerin, Innendekorateurin, Bandsängerin und einiges mehr, will viele Dinge und diese am liebsten gleichzeitig. Ihr neuestes Projekt ist ein Restaurant namens „Mom’s“, das gleichzeitig ein Laden ist, ein Gemeindezentrum und ein Ort, an dem man einen Haarschnitt bekommt. Sprache, Motorik, aber vor allem das Leben können da mitunter nicht mehr ganz folgen. Brookes Stolpereien erkennt Tracy zunächst nicht. Sie sieht nur den großstädtischen Drive, das Großformatige, die „Fanciness“. Der erste Auftritt im Lichtermeer des Times Square ist buchstäblich blendend. Und Brookes zwischen zeitdiagnostischen Halbwahrheiten und schrulligen Aphorismen wild herumspringende Monologe wirken auf die Neu-New-Yorkerin und Literaturstudentin Tracy extrem vitalisierend, die im sozialen Abseits glanzloser Uni-Seminare zu verkümmern drohte. Sie beginnt mit Brooke nicht nur eine Freundschaft, sondern verwertet sie auch als literarische Figur in ihrer Erzählung „Mistress America“. Von der platten Gegenüberstellung generationeller Differenzen in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ (fd 43 220) hat Baumbach glücklicherweise Abstand genommen. „Mistress America“, mit kleiner Crew und fast klandestin gedreht, lässt sich eher als eine lose Weiterführung von „Frances Ha“ (fd 41 835) betrachten, eine Komödie über serialisierte Krisen im Zeitalter scheinbar unbegrenzter Lebensentwürfe. Das Drehbuch hat Baumbach erneut zusammen mit der Hauptdarstellerin Greta Gerwig geschrieben, und auch dieser Film ist ganz auf Gerwigs „Systemfehler“ und eigenwillige Körperlichkeit zugeschnitten, auf die Unterbrechung des Erzähl- und Bewegungsflusses durch Irritationen und linkische Momente. Im Gegensatz zu der schluffigen, eher passiven Frances ist Brooke aber weitaus energetischer, chaotischer. Zudem entfernt sich „Mistress America“ von der Rhetorik der Zeit- und Milieudiagnose und aktiviert stattdessen Dynamik und Figurenkonstellationen der Screwball-Comedy. Wobei das Paar in diesem Fall zwei ungleiche Frauen sind: Brooke, von der Halbschwester einmal als „last cowboy“ beschrieben, und Tracy, in Brookes Worten eine Mischung aus Zen-Meisterin und Soziopathin. Baumbach verleiht der Frauenfreundschaft die Gleichwertigkeit einer Liebesgeschichte. Alles kommt vor: die Projektionen, die übersteigerten Erwartungen, die Enttäuschungen, das Zerwürfnis, die Trennung, der Versuch einer Wiederannäherung. Doch gerade im ersten Teil gehen der Rhythmus und die Balance zwischen den beiden Figuren nicht recht auf – zu Tracys Verhuschtheit scheint Baumbach weitaus weniger einzufallen als zu Brookes verhaspeltem Überaktionismus. Als die beiden Frauen mit zwei Studienkollegen von Tracy zu Brookes reichem, inzwischen verheiratetem Ex-Freund nach Connecticut aufbrechen, um Geld für das geplante Restaurant aufzutreiben, läuft „Mistress Amercia“ indes zur Höchstform auf. Das Designer-Eigenheim des Ehepaars wird zur perfekten Screwball-Bühne: Dialoge nehmen rasant an Fahrt auf, Figuren formieren sich zu gruppenporträthaften Arrangements, sortieren sich um und werden durch Personen aus Vor- und Nebenszenen erweitert. Es kommt zu spontanen Allianzen und Zerwürfnissen. Am Ende kann man in Brookes gar nicht so kolossalem Scheitern sogar eine Spur Systemkritik ausmachen, eine Absage an Selbstoptimierung und flexible Lebensentwürfe.
Kommentar verfassen

Kommentieren