Es ist der Traum eines jeden Lehrers: einen verloren geglaubten Schüler so zu motivieren und zu fördern, dass er über das Lernziel hinausschießt – freiwillig, selbstständig, mit Spaß am Wissenserwerb. Anne Anglès, die am Gymnasium Léon Blum in der Pariser Vorstadt Créteil Geschichte unterrichtet, ist dies nicht nur mit einem Schüler, sondern gleich mit einer ganzen Klasse von rebellischen „Problemjugendlichen“ gelungen.
Ahmed Dramé, einer dieser Schüler, hat die Geschehnisse in einem Drehbuch verdichtet, damit an die Tür der Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar („Willkommen in der Bretagne“, fd 41521; 2012) geklopft. Und rund zwei Jahre später ist daraus ein Spielfilm geworden, der einen Finger in die Wunde eines überforderten Bildungssystems legt. Eines Systems, das nicht mit Klassenkonstellationen umzugehen weiß, wie sie in französischen Vorstädten längst zur Regel geworden sind: multiethnisch, multireligiös, benachteiligt. Allein schon durch ihre Herkunft aus dem sozialen Abseits „Banlieue“ stigmatisiert, gelten junge Menschen von dort häufig von vornherein als abgeschrieben. Die Klasse von Malik (Ahmed Dramé) ist da keine Ausnahme, obwohl die Schüler in der „Seconde“ die Mittlere Reife bereits in der Tasche haben und Kurs aufs Abitur nehmen. Ganz hoffnungslos kann es also nicht sein, aber an eine aussichtsreiche Zukunft glaubt keiner. Am wenigsten die Jugendlichen selbst.
Als Madame Gueguen, wie die von Ariane Ascaride resolut und einnehmend gespielte Lehrerin im Film heißt, eben dieser Klasse vorschlägt, an einem renommierten Geschichtswettbewerb teilzunehmen, schlägt ihr Skepsis von allen Seiten entgegen. Die Schüler trauen sich das nicht zu, und der Schuldirektor hält das Vorhaben für vergebliche Liebesmüh. Es ist der unbeirrbare Glaube der Lehrerin an ihre Schüler, der dazu führt, dass sich die Klasse auf das Wagnis einlässt.
„Kinder und Jugendliche im System der Konzentrationslager der Nazis“, lautet das Thema des Wettbewerbs, und ab dann wird es heikel. Zunächst für die Schüler, weil es bei der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten nicht ausbleibt, die eigene von unzähligen Ressentiments und Vorurteilen geprägte Gegenwart zu hinterfragen: Wie weit kann man gehen, wenn man ethnische Witze macht? Wo fängt Rassismus an? Wer entscheidet, was ein guter Muslim ist? Wieso erntet der schwarze Malik feindselige Blicke von Camélias maghrebinischem Vater, als er das Mädchen nach Hause begleitet? Das Eintauchen in die Geschichte schärft den Blick für die rassistischen und extremistischen Tendenzen unserer Zeit, die die Banlieue mit all ihren Nationen und Kulturen mehr als anderswo durchziehen. Lehrbuchhaft zeigt der Film, wie das, was vorher unreflektiert hingenommen wurde, nun nicht mehr akzeptabel ist. Solch ein (Selbst-)Bewusstwerdungsprozess ist unbedingt lobenswert, ebenso die schulische Entwicklung der Jugendlichen, die im Lauf des Projekts auch Teamwork, Recherchieren und Präsentieren lernen. Zugleich aber fällt die filmische Umsetzung fragwürdig aus, vor allem weil die Figuren auf Klischees reduziert werden. Weder Madame Gueguen noch Malik als jugendliche Hauptfigur noch seine Klassenkameraden – die explosive Mélanie, der sich radikalisierende muslimische Konvertit Brahim – bauen sich zu Personen mit Tiefe auf. Brav erfüllen sie ihre dramaturgische Funktion und fügen sich als flache Puzzlestücke widerhakenlos in die Erfolgsgeschichte ein. Ein Film wie „Die Klasse“ (fd 39 090; 2008) von Laurent Cantet war in einem vergleichbaren Milieu angesiedelt, bot zwar keine pädagogische Lösung, bestach aber mit authentischen Charakteren.
Angreifbar ist der Film auch in der Darstellung der Rolle des Holocaust: Szenen, in denen die Schüler das Ausmaß der NS-Verbrechen zu erfassen beginnen, werden mit gefühliger Klaviermusik unterlegt und so auf banale Weise emotionalisiert. Ein Einsatz filmischer Gestaltungsmittel, der gerade in Bezug auf „Holocaust-Filme“ vielfach kritisch diskutiert wurde und wird. Denn wenn Léon Zyguel, ehemaliger KZ-Häftling, der Klasse von seinen Erlebnissen berichtet und sich in den Gesichtern der Zuhörer Betroffenheit, Mitgefühl und Trauer spiegeln, braucht es keinen musikalischen Gefühlsverstärker. Im Gegenteil, es grenzt an Kitsch, was hier mehr als fehl am Platz ist. So ist durchaus interessant zu sehen, wie die Auseinandersetzung mit Geschichte die Grundlage dafür schafft, die eigenen, gegenwärtigen Spannungsfelder in einem größeren Kontext zu betrachten und Konflikte zu überwinden – zugleich aber sind die gelegentlichen Entgleisungen in Richtung Kitsch und Klischee schwer auszuhalten.