„Identitätsfeststellung“ ist kein Wort, das einem leicht über die Lippen geht, wenn man in einem dunklen Flur einen vermeintlichen Einbrecher gestellt hat, der einen Kanister in der Hand hält und gerade richtig bockig wird. Da wird es schnell etwas kompliziert: Kurze Erklärung, was ansteht, Situation unter Kontrolle bringen, höflich und ruhig bleiben. Glücklicherweise handelt es sich anfangs nur um die Simulation eines Konflikts zu Ausbildungszwecken, aber schon hier gelangen die Polizeischüler rasch an ihre Grenzen. Artikulation unsauber, Körpersprache mangelhaft.
Ein Jahr lang hat Marie Wilke eine Gruppe von Polizeischülern in Sachsen-Anhalt bei ihrer Ausbildung begleitet: erst in der Polizeischule, dann bei den diversen Praktika, also „richtigen“ Einsätzen. Schnell zeigt sich, dass diese Einsätze Teil der Ausbildung sind, dass man Konfrontationen mit dem „Alltag“ nur bedingt einüben kann, dass man auf „learning by doing“ setzen muss.
Welche Motivation steckt hinter der Berufswahl, Polizist werden zu wollen? Wilke hat es vermieden, die Nähe zu den Protagonisten zu strapazieren, obwohl es, so die Filmemacherin, keinerlei Zensur seitens der Institutionen gab, höchstens eine gewisse Reserve gegenüber dem Filmteam, weil die Bereitschaftspolizei ein klassisches Imageproblem hat. Die Inszenierung verzichtet auf direkte Face-to-Face-Interviews und sammelt stattdessen Impressionen, die geschickt und schlüssig montiert sind, Fragen beantworten oder andere Fragen präzisieren.
Die Arbeit als Polizist gilt, so wird einmal geschwärmt, als abwechslungsreich und aufregend. Kein Bürojob, dazu noch aufgewertet durch den Beamtenstatus. Ein Traumjob? Gewiss nicht, wenn man sich dem Beruf des Staatsdieners mit einer Portion Nachdenklichkeit nähert. Im Film wird dies besonders deutlich, wenn man die Polizeischülerin Kathrin Cruz beobachtet. In der Theorie ist alles ganz einfach: die Polizei als Teil der Exekutive vermittelt zwischen der bürgerlichen Freiheit und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft. Das heißt aber auch, dass man in prekären Konstellationen mit der nötigen Autorität auftreten muss, um das Gewaltmonopol zu behaupten. Cruz, die vor ihrer Ausbildung offenbar einschlägige Erfahrungen mit Polizeigewalt gemacht hat, fühlt sich in der Praxis aber eher der Habermas’schen Ethik des herrschaftsfreien Diskurses verpflichtet. Sie appelliert auch bei sturzbetrunkenen Ruhestörern ganz vernünftig an den gesunden Menschenverstand und ist darauf erpicht, „Denkprozesse in Gang zu setzen“. Schließlich lebe man ja mit Nachbarn zusammen und müsse logischerweise in Sachen „Lärm“ lernen, die unterschiedlichen Interessen friedlich auszuhandeln und zu vermitteln. Leider wird sie niedergebrüllt. Oder schlicht überhört.
So verfügt „Staatsdiener“ untergründig über eine schöne Portion Komik, denn das Leben „da draußen“ hat leider sehr wenig mit den eingeübten Trainingseinheiten zu tun. Auf dem leeren Schulhof ist es ein Leichtes, einen Zug Bereitschaft so gegen Steinwürfe zu choreografieren, dass er problemlos im nächsten „Asterix“-Film mitspielen könnte. Draußen vor der Tür, bei gewalt- und beleidigungsbereiten Hooligans, kommt es schnell zu Handgreiflichkeiten und verbalen Übergriffen. Und zu Diskussionen unter den Polizeischülern: Muss ein Staatsdiener immer ein Vorbild sein? Oder darf man die Dinge oder „Penner“ auch mal beim Namen nennen? Oder gleich zum Pfefferspray greifen, um die Verhältnisse zu klären? „Ich bin der Staat“, erklärt ein Kollege von Cruz großspurig und macht damit klar, dass es auch noch ganz andere Motivationen geben kann, die bei der Berufswahl mitentscheiden.
Die Filmemacherin Marie Wilke, die unter anderem bei Harun Farocki studiert und sicher dessen „Leben – BRD“ (1990) gesehen hat, wertet nicht, sondern zeigt lieber, wie die Polizeischüler damit kämpfen, ihr Selbstverständnis als Staatsdiener theoretisch mit hehrem Anspruch zu füllen (Höhepunkt: der Text der Vereidigung) und andererseits dieses Selbstbild in die Niederungen eines Alltags zu transferieren, der von häuslicher Gewalt, Alkoholmissbrauch, Armut, Selbstmitleid, Hysterie und herzhaftem Stumpfsinn geprägt ist. Einmal wird sogar Cruz laut. Ist das positiv im Sinne des Realitätsprinzips zu werten?
Die Szenen vor Ort, deren perspektivlose Tristesse die jungen Polizisten und Polizistinnen emotional überfordern müssen, werden auf der Wache in Erzählungen des Tathergangs gegossen. Auch das dient der Distanzierung. Wie lange noch wird Kathrin misshandelten Frauen ins Gewissen reden?
Am Ende des Films steht ein „Tag der offenen Tür“ in der Polizeischule, der auch zur Rekrutierung von Nachwuchs dient. Da kann man live sehen, wie das geht – Fahrzeugkontrolle mit überraschendem Taschenmesserfund. Dann geht’s zur Sache! Und die Moderatorin fasst gut gelaunt zusammen: „So ein polizeilicher Alltag kann auch mal ganz aufregend werden. Toi, toi, toi – es passiert nicht allzu oft!“ Wenn die wüsste!