Die Geschichte vom schönen, stolzen Fuchs erzählt Berfe ihrer Enkelin Jiyan: vom Fuchs, der seinen Schwanz verliert und vom Hausierer zu den Hühnern zum Händler laufen muss, um einen neuen Schwanz zu finden. Ob ihm das gelingt, erfährt man erst, wenn der Film zu seinem Ende findet. Natürlich ist diese Geschichte eine Parabel für das, was auch Berfe und Jiyan widerfährt: Die alte Frau und das Mädchen sind ebenfalls auf der Suche, und zwar nach einer Waffe. Damit, so haben es ihnen die Soldaten gesagt, könnten sie Temo, Berfes Sohn und Jiyans Vater, aus der Haft freikaufen. Wie alle anderen Männer des kurdischen Bergdorfs wurde er festgenommen, da die türkische Staatsmacht unter den ärmlichen Häusern und Ställen Waffendepots vermutet. Das Problem ist nur: Die Dorfbewohner haben gar keine Waffen. Oder nur welche aus einem vergangenen Jahrhundert. Als Berfe mit einem Uralt-Gewehr bei den Soldaten ankommt, lachen die sie nur aus.
So kommt es zu den absurdesten Konstellationen: Der Bürgermeister kauft dem Feldwebel Waffen ab, um diese dann beim Kommandeur, dem Vorgesetzten des Feldwebels, im Austausch für Gefangene abzuliefern. Jiyan sammelt bei den Kindern des Dorfs Spielzeugpistolen ein. Berfe verhandelt mit einem Schmuggler: ihr letztes Erspartes gegen ein Gewehr. Doch alles scheitert. „Nur Geduld! Vielleicht tut sich ihm eine Tür auf!“, heißt es in der Geschichte vom Fuchs einmal, und so schöpfen auch Berfe und Jiyan neue Hoffnung, als sie sich auf den weiten Weg in die nächste größere Stadt machen, um Verwandte um Hilfe zu bitten. Auf dem Rückweg, endlich mit Pistole im Gepäck, eilt ihnen das Schicksal in Gestalt dreier blinder Dengbejs zu Hilfe, jener traditionellen Geschichtenerzähler im kurdischen Osten der Türkei. Es sind dieselben Dengbejs, die in der Rahmenstruktur zu Filmbeginn dazu ansetzten, die Geschichte von Berfe und Jiyan zu erzählen. Als Wandergefährten von Großmutter und Enkelin wechseln sie nun leichtfüßig aus der Rahmen- in die Binnenhandlung.
Die Ebenen und Geschichten überlagern sich: Mit leiser Poesie und zugleich nüchternem Blick erzählt der kurdisch-türkische Regisseur Hüseyin Karabey davon, wie die kurdische Bevölkerung der Türkei unterdrückt wird. Erstaunlich, wie gefasst diese hier – bei aller Trauer – die alltäglichen Schikanen erträgt. Doch Karabey macht keine Schwarz-Weiß-Rechnung auf: So helfen einige Soldaten heimlich immer wieder den Dorfbewohnern, die, auch wenn die karg-liebliche Region nicht danach aussieht, inmitten einer ständig kontrollierten Kampfzone leben.
Die wunderschön fotografierte, archaische Landschaft aus schneebedeckten Bergen, Sommerwiesen und windbewegten Laubwäldern ist der dritte Hauptdarsteller. Immer wieder sieht man Berfe und ihre aufgeweckte Enkelin die scheinbar endlosen Geröllwege entlang marschieren. Die langsame Bewegung durch den ebenso lebensspendenden wie -feindlichen (Natur-)Raum gibt den ruhigen, gelassenen Rhythmus des Films vor. Das emotionale Zentrum aber bilden die beiden Hauptfiguren: die zähe, weise Alte und das neugierige, aufgeweckte Mädchen, eine so selbstbewusst und furchtlos wie die andere. Stimmig dargestellt werden sie von der würdevollen Feride Gezer als Großmutter und der ganz und gar unverstellten, erfrischend aufspielenden Melek Ülger als Jiyan. Ein schöner Film, der geschickt die Balance hält zwischen politischer Realität und Schwere auf der einen und leiser Komik und Poesie auf der anderen Seite. Am Ende wird eine Waffe in der Erde vergraben: Symbol der Hoffnung für den Konflikt zwischen Türken und Kurden?