Das Schrumpfen erfreut sich außer beim Abnehmen nicht allzu großer Beliebtheit. Wir leben in Zeiten des Wachstums-Terrors. Das ist im Kino nicht anders als in der Wirtschaft, im »Larger than Life«-Hollywood-Mainstream vorneweg. Das Subgenre des Schrumpffilms nimmt sich entsprechend jenseits von Klassikern wie »Die unglaubliche Geschichte des Mr. C.« (1957), »Die phantastische Reise« (1966) oder »Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft« (1989) ziemlich kläglich aus. »Ant Man«, der neue Streich der Marvel-Studios, liefert nun so etwas wie die ultimative Schrumpf-Apotheose. Es gibt Sequenzen, in denen man einfach nur mit einem breiten Lächeln im Kinosessel sitzt und sich darüber freut, welchen Budenzauber man in 3D mit dem alten Spiel mit den Größendimensionen veranstalten kann. Und es gibt einen gealterten Helden, Dr. Hank Pym, der sich dem Superhelden-Dasein ebenso verweigert hat wie der Logik des Wirtschaftswachstums. Seine genialste Erfindung, ein Elixier, mit dessen Hilfe sich Materie verdichten und damit schrumpfen lässt, hat Pym der Vermarktung entzogen und es mitsamt seiner »Ant-Man«-Uniform im Tresor im Keller eingemottet. Allerdings gibt es auch Schurken, die so herrlich böse sind, dass sie weder vor süßen weißen Lämmern noch vor den eindringlichen Warnungen eines alten Mentors halt machen, wie Pyms ehemaliger Schützling Darren Cross. Dieser ist gerade dabei, bei Tierversuchen einer Kopie von Hanks legendärem Elixier den letzten Schliff zu geben, um es zu militaristischen Zwecken an den Meistbietenden (aka HYDRA) zu verschachern. Das kann Hank nicht zulassen, und so sucht er sich jemanden, den er in den Ant-Man-Anzug stecken und bei Cross Technological Enterprises einbrechen lassen kann, um die Kopie und die Formel zu vernichten.
Ein Verschwörungs-Politthriller (»Captain America: The Return of the First Avenger«), eine bunte Space Opera (»Guardians of the Galaxy«), ein Katastrophenfilm (»Avengers 2: Age of Ultron«): Die letzten Filme des »Marvel Cinematic Universe« waren nie »nur« Superheldenfilme, sondern ließen verschiedene Genre-Spielarten und damit einhergehend verschiedene Erzähltonfälle anklingen. »Ant-Man« ist nun nicht zuletzt ein reizvolles Heist-Movie: Der Mann, den Pym zum Ant-Man macht, ist der gerade aus dem Knast entlassene Profieinbrecher Scott Lang. Dieser will den kriminellen Makel gerne loswerden, um von seiner Ex-Frau die Erlaubnis zu bekommen, mehr Zeit mit seiner kleinen Tochter verbringen zu dürfen. Pym aber kommen Langs spezielle Fachkenntnisse gelegen, da Cross’ Firma wie eine Festung gesichert ist; so überredet er den reuigen Dieb dazu, das edle krumme Ding zu drehen.
Ein Gutteil des Vergnügens speist sich daraus, mit welchem Raffinement und Einfallsreichtum Lang und das Team, das er um sich schart, ihren Raubzug choreografieren und bei der Ausführung diverse unerwartete Hindernisse überwinden. Bzw. unterlaufen: denn der zweite Gutteil Vergnügen ist vor allem schrumpfbedingt. Mit dem Ant-Man-Anzug ausgestattet, kann sich Lang zwischen der normalen Welt und dem Mikrokosmos, in dem Ameisen gute Reitpferde abgeben, hin- und herploppen, was die Steilvorlage für zahlreiche Gags sowie atemberaubende Actionsequenzen ist – etwa wenn sich Lang und sein Antipode Cross, verkleinert auf Ameisendimensionen, eine Schlägerei zwischen herumtrudelnden Gegenständen in einem Koffer liefern, der gerade aus einem Hubschrauber fällt. Einmal mehr ist Marvel mit der Wahl des Regisseurs ein kleiner Coup gelungen: Peyton Reed (»Down With Love«, »Trennung mit Hindernissen«) hätte man mit einer Action-Regie vorher ebenso wenig in Verbindung gebracht wie Kenneth Branagh vor »Thor«, doch er meistert die atemberaubenden Choreografien bestens, balanciert dramaturgisch geschickt Spannung und Komik aus und schafft zudem Raum für die emotionale Unterfütterung. Helden wie Schurken stecken in Eltern-Kind-Beziehungskisten, die in Schieflage geraten sind: Scott leidet unter der Trennung von seiner Tochter, Pym wiederum hat zu seiner erwachsenen Tochter Hope ein angespanntes Verhältnis, Cross sieht sich seinerseits als eine Art verschmähten Sohn des genialen Wissenschaftlers. Diesen familiären Mikrokosmos koppelt der Film an den Makrokosmos der »Avengers«-Welt: Deren Figuren zelebrieren Gastauftritte und bauen eine Brücke, die dafür sorgt, dass der frisch eingeführte Held seinen Platz in der Geschichte von Captain America, Iron Man und Co. findet. Denn letztlich geht es doch auch beim Schrumpfen wieder ums Wachsen: Das »MCU« dehnt sich aus, unaufhaltsam.