Am Beispiel eines unscheinbaren Cafés an der King George Street in Jerusalem, in dem sich in den 1960er-Jahren viele Politiker trafen, entfaltet der anekdotenreiche Dokumentarfilm die Geschichte der israelischen Linken, die sich nach dem Sechstagekrieg 1967 als marginale Minderheit gegen den trunkenen Patriotismus des Landes zur Wehr setzte. Das vielstimmige multikulturelle Kaffeehaus dient als Klammer für Interviews mit Zeitgenossen und Weggefährten sowie für aufschlussreiches Archivmaterial, mit dem die das Land prägende Zeit detailreich wiederersteht. Dabei deutet sich auch die Vision eines anderen Israels an, in dem die zionistische Ideologie überwunden ist.
- Ab 14.
Café Ta'amon - King-George-Street, Jerusalem
Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 92 Minuten
Regie: Michael Teutsch
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Filmglas München
- Regie
- Michael Teutsch
- Buch
- Michael Teutsch
- Kamera
- Hans Albrecht Lusznat · Michael Teutsch
- Musik
- Wolfgang M. Neumann
- Schnitt
- Julia Furch · Sophie Oldenbourg
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 21.05.2015
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Aufschlussreiche Doku über ein traditionsreiches multikulturelles Café in Jerusalem
Diskussion
Auch wenn die Wiener Kaffeehauskultur einmal zur Sprache kommt, ist das Café Ta’amon in Jerusalem „nur“ ein unscheinbarer Ort, eine kleine Theke hinter blaugerahmten Glastüren, einige wenige Tische in einem schlauchartigen Raum, an den sich sogleich die Küche anschließt. Aber Zeitung lesen kann man dort, die Zeitungen auf hölzerne Zeitungsständer gespannt, wie in Wiener Kaffeehäusern.
Ausgehend von dem kleinen Café und dem Betreiber-Paar Jocheved und Mordechai Kopp erzählt der deutsche Regisseur Michael Teutsch die spannende Geschichte der israelischen Linken – die allein schon deshalb spannend ist, weil die israelische Linke kaum eine Stimme hat, im Land oder außerhalb wahrgenommen würde. Überdies wird hier eine Szene aus dem konservativ-„provinziellen“ Jerusalem beschrieben – und nicht aus dem offenen, weltstädtischen Tel Aviv.
1960 hat Mordechai Kopp das Café deutschen Juden abgekauft, die es seit 1936 betrieben hatten. Es liegt an der King George Street, einer der belebtesten Straßen in Jerusalem, die ans Geschäftsviertel grenzt. Die erste Verkehrsampel in Jerusalem wurde hier aufgestellt. Vis-à-vis des Cafés tagte bis 1966 die Knesset, wurde es zum Treffpunkt für Politiker und Aktivisten jedweder Ausrichtung wurde; da kam es dann schon Mal zu „lautstarken Auseinandersetzungen oder Prügeleien“. Shimon Peres trank hier Kaffee, oder Jitzhak Rabin.
Der Regisseur fokussiert sich auf die Zeit nach dem Sechstagekrieg 1967. Damals, angesichts der vor Patriotismus trunkenen Stimmung im Land, setzten sich linke Gruppierungen wie „Matzpen“ oder die „Black Panther“ als einzige gegen die israelische Besatzung ein – gemeinsam mit arabischen Israelis. Sie alle trafen sich im Ta’amon. Man konnte dort anschreiben; und wurde mal wieder ein Stammgast bei einer Demonstration festgenommen, so schickte der konservativ-religiöse Mordechai Kopp Zigaretten und Essen ins Gefängnis – angeblich soll es Demonstranten gegeben haben, die sich wegen der guten Versorgung mit Gitanes und traditionellen Köstlichkeiten absichtlich haben verhaften lassen.
Das Ta’amon war Dreh- und Angelpunkt für die Linke, und als ebensolchen nutzt es der Regisseur. Er spricht mit zahlreichen Interviewpartnern, meist bei denen zu Hause, lässt sich die Bilder eines Aktivisten zeigen, der damals immer mit der Kamera unterwegs war, speist filmisches Archivmaterial von Demonstrationen, dem Leben auf der King George Street oder der Atmosphäre nach der Einnahme Ostjerusalems ein – und kehrt doch immer wieder ins Café zurück, zu den inzwischen sehr alten Besitzern, den Stammgästen und dem muslimischen Koch Hamis, der auf dem Weg aus einem Dorf bei Bethlehem seit 28 Jahren fast täglich den Checkpoint passiert auf dem Weg zum Café. Er hat in Deutschland Sport studiert, Anfang der 1970er-Jahre, und spricht, wie die meisten der Protagonisten, deutsch.
Das Café Ta’amon ist ein unscheinbarer, aber vielstimmiger Ort. Die Inszenierung nutzt ihn geschickt, um en passant, aber sehr anschaulich eine weithin ungekannte Perspektive auf einen Teil israelischer Geschichte zu eröffnen.
2013 gaben die Besitzer das Café aus Altersgründen auf. Es ist jetzt Filiale einer kleinen Jerusalemer Café-Kette.
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