Von jetzt an kein zurück

Drama | Deutschland/Österreich 2014 | 108 Minuten

Regie: Christian Frosch

Eine Jugendliche träumt 1967 von einer Karriere als Sängerin. Mit ihrem rebellischen Freund reißt sie aus, doch beide werden in ein Heim gesteckt, wo sie mit routiniert-ritualisierter Gewalt zu unauffälligen Persönlichkeiten verformt werden sollen. Jahre später ist sie in der Schlager-Branche gelandet, während er in den terroristischen Untergrund abgleitet. Weitere Jahre später müssen sie sich fragen, was von ihren Träumen und Energien geblieben ist. Ein mitreißendes Drama, das mit viel Enthusiasmus und Esprit kleinbürgerlichen Biografien während der 1968er-Revolte nachspürt und den autoritären „Muff“ der restaurativen Bundesrepublik Deutschland physisch greifbar macht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VON JETZT AN KEIN ZURÜCK
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Jost Hering Filme/Prisma Film
Regie
Christian Frosch
Buch
Christian Frosch
Kamera
Frank Amann
Musik
Andreas Ockert
Schnitt
Karin Hammer · Daniel Scheimberg
Darsteller
Victoria Schulz (Ruby) · Anton Spieker (Martin) · Ben Becker (Rubys Vater) · Ursula Ofner (Rubys Mutter) · Thorsten Merten (Martins Vater)
Länge
108 Minuten
Kinostart
12.03.2015
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Ein großer Film über die restaurative Bundesrepublik

Diskussion
Aus Ben Becker wird in diesem Leben wohl kein „richtiger“ Schauspieler mehr werden. Aber als bräsig-brütender, hilflos gewalttätiger Vater ist er in Christian Froschs „Von jetzt an kein zurück“ ganz bei sich und also geradezu ideal besetzt. Der Ehemann, Vater, Katholik und vielleicht traumatisierte Kriegsteilnehmer hadert in den späten 1960er-Jahren mit seiner Aufgabe als Erziehungsberechtigter. Seine verzweifelt behauptete Autorität kann er nur durch ohnmächtige Gewalt verteidigen. Tochter Rosemarie, die sich „Ruby“ nennt und mit exquisiter Kennerschaft die Musik der Monks jener der Kinks vorzieht, bedankt sich einmal explizit für die Schläge, die sie vom Vater bezieht. Da merkt er, dass er am Ende seiner Logik angekommen ist. Angesichts der drohenden sittlichen Verwahrlosung und auch angesichts der Erkenntnis, dass die Erniedrigung seiner Tochter letztlich ihn selbst erniedrigt, holt er staatliche Institutionen zu Hilfe. Wie kaum ein Film zuvor erzählt „Von jetzt an kein zurück“ physisch greifbar vom autoritären „Muff“ der restaurativen Bundesrepublik, die auf jugendliche Rebellion und Devianz – verbunden mit langen Haaren, kurzen Röcken, Beat-Musik und ersten Drogen-Experimenten – nur mit willkürlicher Repression reagiert. Wenn eingangs „Wir“ von Freddy Quinn erklingt, jener seit vielen Jahren gerne ironisch belächelte Song über die Gewaltandrohung des „Juste milieu“ („auch lange Haare, nur sind sie gewaschen ...“), gibt das den Tonfall vor. Die Titelsequenz endet mit dem bekannten Bild des sterbenden Benno Ohnesorg in einem Berliner Hinterhof am 2. Juni 1967. Ein Menetekel! Christian Frosch erzählt vom Auf- und Ausbruch in Bildern, die man schon so häufig gesehen hat, dass man wirklich überrascht ist, wenn seine Geschichte eine böse Wendung nimmt. Ruby und ihr Freund, der provokante Rimbaud-Verehrer Martin, reißen von zu Hause aus und wollen in Berlin untertauchen. Doch sie kommen nicht weit; das Ende ihres Trips ist erbärmlich banal. Beide Teenager werden als Störenfriede behandelt und abgeschoben: Rosemarie ins Kloster der Barmherzigen Schwestern, Martin ins berüchtigte Erziehungsheim der Diakonie von Freistatt. Beide Institutionen widmen sich dem Brechen der verhaltensauffälligen Persönlichkeiten mit routinierter, ritualisierter Gewalt. Man versteht schnell, warum sich die Akteure der Neuen Linken und auch die Kader der RAF vor dem Abtauchen in die Illegalität für Heimzöglinge engagierten. Aus dem schwungvollen Coming-of-Age-Film wird jetzt ein Heim- und Gefängnisfilm mit semi-dokumentarischen Bildern von Erniedrigung, Gewalt und Widerstand. Frosch schildert Biografien aus kleinbürgerlichem Milieu, was im deutschen Film eher eine Seltenheit ist, weil der sich in diesem Zusammenhang lieber mit Pastorentöchtern und Schriftstellersöhnen beschäftigt hat. Die Geschichte bleibt auch weiterhin originell, denn die Protagonisten begegnen sich viele Jahre später noch einmal. Rosemarie, die immer schon über eine schöne Gesangsstimme verfügte, ist mittlerweile in der Schlagerbranche gelandet und singt Lieder mit nur oberflächlich tieferem Sinn, was sie allerdings nur mit Hilfe von sehr viel Alkohol erträgt. Bei Martin ist der Flirt mit dem Existentialismus in coole Gewaltbereitschaft umgeschlagen. Er wird wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verhaftet und verschwindet hinter Gittern. 1977 kommt es zu einer erneuten Begegnung, in deren Verlauf die verhinderte Liebesgeschichte sich ein weiteres Mal der Gegenwart stellen muss: Was ist geblieben von den Träumen und der damit verbundenen Energie? Man wähnt sich fast in einem späten Fassbinder-Film über Macht und Entertainment. Noch interessanter als Stoff und Setting ist der Film aber in formaler Hinsicht. Frosch und sein Kameramann Frank Amann haben sich von den Anforderungen des Zeitstücks nicht schrecken lassen und mit viel Enthusiasmus und Esprit kreative Antworten auf die Herausforderung des Stoffes gefunden. Gedreht wurde mit der Handkamera; die Schauspieler erhielten die Möglichkeit, über die Vorgaben des Drehbuchs hinaus zu improvisieren, um möglichst viel Material für die Montage zu produzieren. Am Schneidetisch entstand dann ein Gewebe aus Einstellungen, die eine große, fast schon traumartige Offenheit erzeugen. Vorwiegend in Schwarz-weiß, überzeugt der originelle Film letztlich auch durch seine intelligente Farb-Dramaturgie. Kurzum: dieser Film ist in jeder Hinsicht ein großer Wurf.
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