Das Kino ist heruntergekommen, im Dunkeln hört man Stimmen. Dani sucht seinen Kumpel und hat ihm Bier mitgebracht. Doch Mark „fühlt sich Scheiße“, die Drogen machen ihn fertig. Dabei war dieser Ort einst voller Magie, wo bei Harald Reinls „Winnetou III“ ihre Herzen laut klopften. Doch dann blendet Andreas Dresens „Als wir träumten“ zunächst in die Zeit der jungen Pioniere zurück, als sie Krieg spielten, sich ins Kollektiv einfügen mussten. Dani, Pitbull, Rico, Mark und Paul kennen sich seit Kindsbeinen, sind in einen ärmlichen Vorort von Leipzig aufgewachsen, halten zusammen und trösten auch bei Liebeskummer. Es ist die Nachwendezeit in Ostdeutschland, Anfang der 1990er-Jahre, in denen alles anders wurde; eine genauere zeitliche Präzision fehlt bewusst.
Erwachsenwerden in einer Welt des Umbruchs zwischen Aufbruch und Resignation, voller Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe, in einer Zeit lustvollen Ungehorsams ohne ausdefinierten Wertekanon. Dresen nimmt sich dieser Herausforderung an und stemmt sich jeder cineastischen Gefälligkeit entgegen. Seine strauchelnden Protagonisten sind hungrig nach Leben und dem Austarieren von Grenzen, wollen der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen und sich beim Saufen, Prügeln und Klauen wie Helden fühlen, und sei es nur für einen Tag, für eine Nacht oder für eine Stunde.
Dresen, der die Wendezeit selbst als eine Entwurzelung empfand, hat sich getraut, Clemens Meyers wuchtigen Erfolgsroman für die Leinwand zu adaptieren. Ein Wagnis, das aufgeht und eine urbane Jugendkultur nachzeichnet, die weitgehend verlorengegangen ist. Wie Meyer das erzählerische Potenzial der gesellschaftlich Marginalisierten reizte, so hat Dresen die ungeheure Kraft der Anarchie gereizt, die sich in diesem Moment deutscher Geschichte Bahn brach, eine sehr spezifisch ostdeutsche Sicht, die auf diese Jahre einen dezidiert anderen Blick wirft als der auf Stasi-Verstrickungen und ideologische Ränkespiele fixierte Westen.
Zu Beginn rebellieren die 13-, 14-Jährigen gegen das DDR-System und enden als 17-Jährige im wiedervereinigten, fremden Deutschland, wo sie das „Bier der Gewinner“ trinken. Beste Zeichen für die neue Zeit sind etwa der Zauber der Mikrowelle, der entlassene Lehrer als Anstreicher oder eine auf Krawall gebürstete rechte Gang. Gegen die müssen sich die Jugendlichen durchsetzen, die sich mit der Gründung des „Eastside“-Technoclubs einen Traum erfüllt haben, der bald zum Hotspot der Stadt wird. Mal fällt der Strom aus, mal verwüsten die Rechten das Lokal und schlagen Dani brutal zusammen, mal lässt die „Antifa“ die Jungs im Stich. Dennoch geht es immer irgendwie weiter. Nach dem Tod von Mark zeigen sich Auflösungserscheinungen; Pitbull, inzwischen zum Drogendealer mutiert, scheint Schuld auf sich geladen zu haben, auch wenn er sagt „Ich habe ihn nicht tot gemacht“.
Der Film erzählt vom Gefühl des Jungseins in einem gesellschaftlichen Vakuum; die Elterngeneration ist dabei keine Hilfe, weil deren bisheriges Lebensgerüst zusammengefallen ist und sie sich selbst gerade neu orientieren muss. Nur manchmal zeigt sich Zärtlichkeit, wenn Danis Mutter ihn fast schüchtern über den Kopf streichelt, bevor er in den Jugendknast muss, oder Dani im Nachtclub seiner Jugendliebe verstohlen die Hand auf die Füße legt, eine unsichere Geste, aber voller Wärme.
Die Radikalisierung der Clique, der Absturz in Drogen und Desillusion, Eifersucht und Verrat sind drastisch dargestellt auf diesem Weg, der für einige ins Desaster führt. Dani scheint als Einziger die Kurve in ein bürgerliches Leben zu bekommen, auch wenn die seelischen Wunden nie verheilen.
Die Zersplitterung der Existenz unterstreichen schnell eingeblendete Kapitelüberschriften wie „Gewitter im Kopf“; der Beat der Zeit hallt wieder im Techno-Sound oder dem Remix von Josh Winks „Higher State of Consciousness“, perfekte ergänzt durch aktuelle Elektro-Tracks als Score. Seine Stärke und Authentizität bezieht der Film aber aus den unverbrauchten Gesichter der jungen Darsteller, allen voran Merlin Rose als Dani.
Trotz aller Tiefschläge war es eine schöne Zeit, als sie träumten. Denn es war ihre Zeit.